Christian Mähr: Der Englische Schweiß ist wieder da

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Christian Mähr hat einen Roman über eine wilde Knochenjagd zwischen Wien und Vorarlberg geschrieben. Seine Geschichte ist abenteuerlich, seine Figuren noch abenteuerlicher.

Nein, sexy ist der Dornbirner Messepark nicht. Im Gegenteil. Das Einkaufszentrum der Vorarlberger ist ein unansehnlicher Klotz mit dem unterkühlten Charme der 1980er-Jahre, und fast ist man geneigt, Achmed Verständnis entgegenzubringen, wenn er seinen Anschlag im Namen des Jihad ausgerechnet hier ausführen möchte. Der konvertierte Islamist – bürgerlich: Alois Praxner – hat jedenfalls einen perfiden Plan. Er will die Menschen im Messepark mit der hoch ansteckenden und meist tödlich endenden Englischen Schweißkrankheit anstecken. Wie der Jihadist an das infektiöse Material einer Krankheit herangekommen ist, die eigentlich als ausgestorben gilt? Ja, das ist eine ziemlich verhedderte Geschichte, die der Autor Christian Mähr in seinem neu erschienenen Roman „Knochen kochen“ erzählt. Denn Achmeds Auftritt im Messepark ist nur das Finale furioso einer wilden Knochenjagd zwischen Wien und Vorarlberg.

Nun, ursprünglich ist es der adelige Erasmus Seitenstetten, der auf die Idee kommt, die Knochen seines gleichnamigen Vorfahren zu exhumieren: Den Mann hat vor Jahrhunderten der Englische Schweiß dahingerafft, und Seitenstetten will mit der Knochenanalyse mehr über die mysteriöse Krankheit herausfinden, damit seine stockende Wissenschaftskarriere endlich einmal in Fahrt kommt. Seitenstetten bittet seinen alten Schulfreund Matthäus Spielberger, Wirt der Blauen Traube in Dornbirn, um Hilfe. Der wiederum trommelt seine drei besten Freunde/ besten Kunden, Lothar Moosmann, Franz Josef Blum und Dr. Lukas Peratoner zusammen, um nach Wien zu fahren und die Knochen auszugraben. Weil aber Seitenstetten sowohl Neider als auch eine untreue Ehefrau hat, wird er nicht der Einzige sein, der das Skelett haben will. Bei der nächtlichen Grabungsaktion werden die fünf Männer rund um Seitenstetten doch tatsächlich überfallen. Die Knochen sind also weg, dafür ist die Englische Schweißkrankheit wieder da, die Jahrhunderte im Grab überdauert hat.

In „Knochen kochen“ erzählt Mähr nicht nur eine höchst abenteuerliche Geschichte, sondern bietet auch einen beachtlichen Fundus an Figuren: den Geschichtsstudenten und ewigen Dissertanten Michael Scheidbach etwa, der unfreiwillig eine Schlüsselrolle im Knochen-Drama einnimmt, und auch Mirko, den professionellen Krawallbruder aus Ex-Jugoslawien, oder Wolfegg-Seitenstetten, den arroganten Vertreter einer Nebenlinie des Adelshauses. Noch viele andere nehmen an der Jagd teil, nicht zuletzt der Islamist Praxner, der in Spanien zufällig von den infizierten Knochen erfährt.

Dialektsätze. Hier liegt auch die Schwachstelle in Mährs Roman: Die Handlungsstränge wirken oftmals zu sehr konstruiert (wenn etwa die Erzählung über die exhumierten Knochen von Wien über Vorarlberg zu einem Islamisten nach Madrid gelangt, der in einer Bar sitzt). An manchen Stellen will die Spannung nicht recht aufkommen, an anderen stört die scheinbar willkürliche Verwendung von Dialektsätzen (Wienerisch, Vorarlbergerisch).

Dennoch ist Mährs Roman eine unterhaltsame Angelegenheit. Am meisten Spaß hat man mit den skurril-liebenswerten Protagonisten rund um Spielberger, deren Unbedarftheit und Willensstärke zu sehr komischen Situationen führen. In der Blauen Traube fühlt man sich als Leser durchaus wohl, und selbst die altbekannten Klischees über Vorarlberger und Wiener, die der Autor genüsslich durchkaut, bieten Amüsement (demnach sind Vorarlberger entweder Wien-Fans oder Wien-Hasser, dazwischen gibt es nichts, absolut rein gar nichts).

Mähr schreibt in seinen Büchern gern von alternativen Welten und Wahrheiten, aber auch von fantastischen Begebenheiten. In „Knochen kochen“ stattet er seinen Matthäus Spielberger mit der Gabe aus, die Zukunft träumen zu können. So sieht der Wirt eines Nachts, wie seine Freunde in einer waldähnlichen Umgebung mit der Spitzhacke unterwegs sind. Warum, weiß er zu diesem Zeitpunkt freilich nicht. Und wenn er es wüsste – er würde sich dann wohl kaum überreden lassen, nach Knochen zu graben.

Neu Erschienen

Christian Mähr: „Knochen kochen“
Deuticke Verlag, 416 Seiten, 20,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

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