Literaturnobelpreis 2015 geht an Swetlana Alexijewitsch

Swetlana Alexijewitsch
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Die Weißrussin wird für ihr "vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt," ausgezeichnet. In ihrer Heimat gilt Alexijewitsch als Nestbeschmutzerin.

Der Literaturnobelpreis geht heuer an Swetlana Alexijewitsch. Diese Entscheidung gab die Königlich-Schwedische Akademie heute, Donnerstag, in Stockholm bekannt. Die Weißrussin galt im Vorfeld als Favoritin. Die 67-Jährige wird für ihr "vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Demkmal setzt," ausgezeichnet, begründete die Jury ihre Entscheidung. Alexijewitsch erste Reaktion auf den Preis war kurz: "Fantastisch", sagte die Nobelpreisträgerin.

Die Regimekritikerin wurde als Schriftstellerin, aber auch als investigative Journalistin, bekannt. Ihre Bücher wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Sie ist die 14. Frau, die den Literaturnobelpreis bisher bekommen hat.

Die am 31. Mai 1948 in Iwano-Frankiwsk in der Ukraine als Tochter eines weißrussischen Vaters und einer ukrainischen Mutter geborene Autorin collagiert in ihrem Werk verschiedenste Stimmen, um sie als Zeugen anzurufen.

"Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" als Einstiegslektüre

Erstmals wurde der Name des Preisträgers heuer von einer Frau verlesen. Sara Danius ist seit Juni 2015 Ständige Sekretärin und damit Vorsitzende der Schwedischen Akademie, die über den Preis bestimmt. Danius empfiehlt Alexijewitschs "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" als Einstiegslektüre. Darin trug die Autorin Erinnerungen von Frauen, die im Zweiten Weltkrieg in der Roten Armee gekämpft haben, zusammen. Nach der Veröffentlichung des Buches verlor sie ihren Job als Journalistin, weil sie damit angeblich das Andenken des Zweiten Weltkrieges beschmutzt habe.

Alexijewitsch gilt als moralisches Gewissen Weißrusslands. Sie übt harte Kritik am diktatorischen System unter dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und am russischen Präsidenten Wladimir Putin. Immer wieder war sie deshalb gezwungen, im Ausland zu leben.

"Die Machthaber tun so, als ob es mich nicht gibt, lassen mich nirgends auftreten, nicht im Fernsehen, nicht im Radio, nicht in Schulen oder Universitäten", klagte die Autorin einmal. Niemand verlege in Weißrussland ihre Werke.

Im Westen hingegen erregte sie etwa mit ihrem 500-seitigen Opus-Magnum "Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus" Aufsehen, das 2013 bei Hanser erschien. Psychologisch einfühlsam stellt das Buch anhand einzelner Menschenleben den bisher wohl umfassendsten Versuch dar, die Epoche der Sowjetunion und die Folgen ihres Zusammenbruchs emotional begreifbar zu machen.

"Ich will zu Hause leben"

Alexijewitsch selbst kehrte trotz ihrer oppositionellen Haltung stets in ihre Heimat zurück. "Ich will zu Hause leben, unter meinen Leuten, meinen Enkel aufwachsen sehen", so ihre Begründung. Außerdem sei Quelle ihres Schaffen immer das Gespräch mit den Menschen gewesen. "Und das kann ich am besten hier und in meiner Sprache", meint die Autorin, die 2013 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde.

Zuletzt erschien 2014 "Die letzten Zeugen. Kinder im Zweiten Weltkrieg", in dem sie auf erschreckende Weise zeigt, dass Menschen traumatische Kindheitserlebnisse ein Leben lang mit sich herumschleppen. Die Autorin meinte damals, sie wolle die Hoffnung dennoch nicht verlieren, dass der Mensch am Ende doch etwas lernt aus dem Blutvergießen. "Ich möchte hoffen, dass das so ist. Und ein Dritter Weltkrieg nicht kommt. Es ist doch so interessant zu leben."

Nobelpreis mit 860.000 Euro dotiert

Die mit acht Millionen Kronen (rund 860.000 Euro) dotierte Auszeichnung ging im Vorjahr an den Franzosen Patrick Modiano. Offiziell überreicht werden die Nobelpreise in Stockholm am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

Ausgewählte Werke

"Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" (1987/Neuausgabe 2015)

"Die letzten Zeugen. Kinder im Zweiten Weltkrieg" (1989/Neuausgabe 2014)

"Zinkjungen. Afghanistan und die Folgen" (1992/Neuausgabe 2014)

"Im Banne des Todes: Geschichten russischer Selbstmörder" (1994)

"Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft" (1997/Neuausgabe 2015)

"Seht mal, wie ihr lebt: Russische Schicksale nach dem Umbruch" (1999)

"Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus" (2013/Neuausgabe 2015)

(Red./APA/dpa)

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