Wilhelm Pevny: Gottes träumende Elektronen

Das sechsteilige realistische TV-Drama ''Alpensaga'' von Peter Turrini und Wilhelm Pevny sorgte 1976/77 für heftige Diskussionen. Ausschnitt aus Teil drei, ''Das große Fest''.'
Das sechsteilige realistische TV-Drama ''Alpensaga'' von Peter Turrini und Wilhelm Pevny sorgte 1976/77 für heftige Diskussionen. Ausschnitt aus Teil drei, ''Das große Fest''.'(c) ORF
  • Drucken

Der Ko-Autor der "Alpensaga" feiert seinen 65. Geburtstag. Er spricht über Wünsche und seinen neuen Roman "Die Erschaffung der Gefühle". "Die Alpensaga" ist für ihn Geschichte, mit Turrini trifft er sich noch.

Die Presse: Worum geht es im neuen Buch?

Wilhelm Pevny: Die äußere Handlung ist so, dass jemand auf dem Boden erwacht und denkt: Wie komme ich hierher? Nach einer Zeit begreift er, er hat einen Gehirnschlag oder etwas Ähnliches. Es ist Samstag, die Putzfrau kommt erst Montag. Er kann sich nicht bewegen. Das Telefon ist so weit weg wie ein Flugzeug. Es wird dunkel. Da bemerkt er, dass jemand hinter ihm sitzt, mit ihm redet, ihm Geschichten erzählt, nämlich, dass das ganze Leben nichts anderes ist als ein Traum von Elektronen. Elektronen haben ja die Eigenschaft, dass sie die Bahnen wechseln können: Wenn sie Energie abgeben, gehen sie in die innere Bahn, wenn sie Energie aufnehmen, gehen sie in die äußere Bahn. Der Erzähler vergleicht das Abgeben von Energie mit dem Sterben und das Aufnehmen von Energie mit der Geburt.

Hat das Buch schon einen Titel?

Pevny: „Die Erschaffung der Gefühle“. Der Hintergrund ist ein mathematischer Gott, der alles sehr leicht erfinden kann, nur eines nicht: Er kann keine Gefühle aus Mathematik erzeugen. Darauf legt er es aber an. Das soll sein Meisterwerk werden.

Was passiert mit dem kranken Mann?

Pevny: Er wird gefunden und in ein Krankenhaus gebracht. Dort verfällt er in eine Art Sprechkoma. Er ist weg, redet aber praktisch ununterbrochen. Die Ärzte sind sich nicht einig, sollen sie die Geräte abstellen oder nicht? Sein Freund zeichnet alles auf, was der Kranke erzählt, mit Kamera, Tonband.

Sind Sie ein Fantast?

Pevny: Ich finde es aufregend, mir etwas auszudenken, über andere Welten und Quantendimensionen zu spekulieren. Das bedeutet aber für mich nicht Weltflucht.

Ihr letzter Roman „Palmenland“ hatte fast 700 Seiten, wie lang wird der neue werden?

Pevny: Ich habe die Geschichte fertig skizziert. Die Feinarbeit dauert bei mir immer zwei bis drei Jahre. Ich versuche mich so knapp wie möglich zu halten, aber 500 Seiten werden es es schon werden.

„Palmenland“ ist ziemlich schwere Kost.

Pevny: Der Roman ist ein Nischenprodukt. Es gibt Leute, die sagen so wie Sie: schwer zu lesen. Es gibt aber auch Fans. Ich kann nicht anders schreiben, als ich es tue. Ich hoffe auf den Mut zur Langsamkeit. Früher habe ich sehr schnell gearbeitet. Jetzt nicht mehr. Ich möchte, dass es den Lesern mit meinen Büchern so ergeht wie mir mit dem Film „Die Mutter und die Hure“ (1973) von Jean Eustache. Der dauert vier Stunden. Ich habe ihn im Stadtkino gesehen, wollte sechsmal gehen. Ich bin dann sitzen geblieben und tausend Tode gestorben. Am Schluss wusste ich: Das ist der beste Film, den ich je gesehen habe. Er hat mich verändert, mein Zeitgefühl, meine Gedanken, meine Weitsicht.

Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?

Pevny: Gesundheit für mich und meine Familie – und mehr Leser. 30.000 sollten es sein. Ich würde auch gern noch einmal mit jemandem ein Theaterstück machen, so wie ich mir moderne Bühnenkunst vorstelle.

Sie haben mit Peter Turrini die „Alpensaga“ geschrieben, die enorm erfolgreich war. Turrini ist aber mehr gefragt als Sie. Sind Sie sauer? Sie leben beide in Retz. Sehen Sie einander?

Pevny: Das Kapitel Alpensaga ist abgehakt. In Retz war ich lange vor Turrini, 1980. Ein Freund von mir hat das Pförtnerhaus im dortigen Dominikanerkloster bewohnt und dann später einen ganzen Trakt. Da bin ich öfter hingefahren um zu arbeiten, und schließlich habe ich mir in Retz ein Haus gekauft. Ich treffe mich manchmal mit dem Turrini. Wir setzen uns zu einem Whiskey zusammen, weil ich ein begeisterter Whiskey-Trinker bin, und er kriegt immer die guten Marken geschenkt. Wir reden über die Arbeit, wenn wir was fertig haben, holen wir das Urteil des anderen ein. Sonst habe ich nicht so viel Kontakt mit Autoren, mit dem Gernot Wolfgruber bin ich befreundet.

Gibt es Rivalitäten zwischen Schriftstellern?

Pevny: Ich habe mich 1980 rausgeschleudert aus dem Geschehen. Ich habe auch meinen früheren Freundeskreis aufgegeben. Man weiß bei vielen Leuten nicht, ist man selbst gemeint mit dem Interesse, das sie einem entgegenbringen oder stehen da nur Nützlichkeitsüberlegungen dahinter? Das hat mich verwirrt. Wenn man sich zurückzieht, muss man allerdings mit dem Nachteil leben, dass man weniger wahrgenommen, wird, wenn man etwas fertig hat.

Können Sie von Ihren Werken leben?

Pevny: Ich habe sehr lange von der Alpensaga gelebt. Wir haben sehr gute Verträge gehabt. Das ist nicht so ein Buy-out wie heute, sondern jedes Mal, wenn der Film wiederholt wird, bekommen wir 100 Prozent, als würden wir ihn neu schreiben. Ich habe Hörspiele gemacht und sehr viel für den Echoraum (Off-Theater in Wien) gearbeitet.

Wie lange brauchen Sie für einen Roman?

Pevny: An „Palmenland“ habe ich sechs Jahre täglich gearbeitet, zwei Jahre dauerten die Vorarbeiten, also insgesamt acht Jahre.

Die österreichische Literatur ist sehr erfolgreich. Woran liegt das? Wird das so bleiben?

Pevny: Österreich ist im Weltgeschehen eine Nische. Wenn man viel reist, spürt man das. Es gibt weniger Stress und Leistungswahn, weniger Fixierung auf den Markt als in Deutschland – von Amerika ganz zu schweigen. Österreich wurde früher von den Deutschen aus politischen Gründen als Bollwerk gegen den Osten gehätschelt. Das ist jetzt vorbei, aber die Österreicher zeigen ihre Qualitäten weiterhin. Sie arbeiten vieles auf, was normalerweise nicht gesehen oder berührt wird. Zwischenmenschliches oder wie eben bei mir extreme Realitäten. Österreich fühlt sich zum Glück verpflichtet, das Kulturerbe hochzuhalten: Salzburger Festspiele, Staatsoper, Burgtheater. Da kriegt auch die lebende Literatur ein paar Brosamen ab. Das ist zwar eher ein Abfallprodukt, aber wir Künstler haben dem Herrn Mozart und seinem Ruhm einiges zu verdanken.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Pevny: Eher vorm Sterben, vor dem Tod nicht. Der Prozess des Sterbens ist wie die Geburt, das Exzessivste, das ein Mensch erlebt. Ich bin bei keiner Kirche. Ich glaube nicht an einen Gott mit Rauschebart oder an Jesus Christus. Früher war ich Atheist. Jetzt denke ich: Da kommt noch was. Wenn wir von woher kommen, müssen wir auch wieder wohin gehen. Es gibt Fakten, die auf ein anderes Leben hindeuten. Träume oder diese Geschichten von Menschen, die aus dem Koma erwacht sind oder klinisch tot waren. Unsere Realität ist nicht die einzige.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.