Literatur: So wird man eine Wiesenbraut

(c) Österreichisches Literaturarchiv
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Klaus Kastberger hat den ersten von 18 Bänden der „Wiener Ausgabe“ Ödön von Horváths fertig: „Kasimir und Karoline“. Ein Großprojekt des Literaturarchivs.

Nein, der Suhrkamp Verlag habe kein Interesse an seinem Projekt gehabt, sagt Klaus Kastberger, Wissenschaftler am Österreichischen Literaturarchiv der Nationalbibliothek, im Gespräch mit der „Presse“. Das macht aber nichts. Seit 1. Jänner 2009 sind die Rechte auf die Texte des österreichisch-ungarischen Schriftstellers Ödön von Horváth frei, der am 1. Juni 1938 in Paris im Exil von einem herabfallenden Ast erschlagen wurde.

Es ist also längst an der Zeit für die historisch-kritische Ausgabe dieses bedeutenden Dichters. 18 Bände soll die Wiener Ausgabe umfassen, diesen Donnerstag wird der erste davon, Band 4, im Oratorium der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) vorgestellt (19 Uhr, Josefsplatz 1). Herausgeber ist neben Kastberger auch Kerstin Reimann. Mit Walter de Gruyter wurde ein renommierter Wissenschaftsverlag gewonnen, pro Jahr sollen ein bis zwei Bände erscheinen.

Seit 2000 gibt es das Projekt, das auf die Horváth-Bestände in der ÖNB zurückgreifen kann, die Ende der Achtzigerjahre von den Erben aus Berlin herausgeklagt wurden. 2001 intensivierte sich die Vorarbeit durch ein Symposium zum 100.Geburtstag des Dichters. Kastberger gab ein Magazin des Österreichischen Literaturarchivs heraus (Band 8 der „Profile“: „Ödön von Horváth. Unendliche Dummheit – dumme Unendlichkeit“, Zsolnay). Schon dort war die Textgenese wesentlich. Kastberger untersuchte u.a. die „Revisionen im Wiener Wald“.

Ausgeklügelte Simulationsgrafik

Der eben veröffentlichte Band 4 (289 Euro) rekonstruiert die Entstehung des Stücks „Kasimir und Karoline“, das ab Herbst 1931 entstand und am 18.11.1932 in Leipzig uraufgeführt wurde. Horváth habe viel Textarbeit geliefert, vor allem auch bei Passagen, die eine einfache Sprache haben. Zur Verdeutlichung der Textgenese wird mit ausgeklügelter Simulationsgrafik gearbeitet. 330 Blatt an Entwürfen umfasst das Material, zwei Vorarbeiten und fünf Konzeptionen.

Der Nachlassbestand ist hochkomplex, die Texte sind in Mappen abgelegt, hunderte von Blättern sind nicht mehr in dem Zustand, den der Autor hinterlassen hat. „Horváth hat geschnitten und montiert, man liest bei diesen Mappen die Produktion mit“, sagt Kastberger, „die Herausforderung besteht darin, das Material zu verstehen.“ So könne man aus „Kasimir und Karoline“ herauslesen, dass die Idee, die Handlung beim Münchener Oktoberfest spielen zu lassen, keine ursprüngliche war. Erst spät wurde das Mädchen zur Wiesenbraut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2009)

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