Büchner-Preis für den vielseitigen Marcel Beyer

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Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zeichnet einen Schriftsteller aus, der viele Genres beherrscht. Beyer reüssiert mit Romanen, überrascht mit Lyrik, Essays und Poetik. Er wirkt auch für die Musik.

Marcel Beyers Texte „sind kühn und zart, erkenntnisreich und unbestechlich. So ist während dreier Jahrzehnte ein unverwechselbares Werk entstanden, das die Welt zugleich wundersam bekannt und irisierend neu erscheinen lässt.“ Mit derart blumigem Lob begründete am Dienstag die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, dass der Büchner-Preis 2016 an den aus Baden-Württemberg stammenden, inzwischen in Dresden lebenden fünfzigjährigen Autor gehen werde. Diese hohe Auszeichnung ist mit 50.000 Euro dotiert, sie wird von der Akademie am 5. November in Darmstadt verliehen.

Die Jury charakterisiert Beyers Schreibweise auch damit, dass er „das epische Panorama ebenso wie die poetische Mikroskopie“ beherrsche. Ob Gedicht oder Roman, zeitdiagnostisches Essay oder Libretto, für ihn sei Sprache immer auch Erkundung: „Er widmet sich der Vergegenwärtigung deutscher Vergangenheit mit derselben präzisen Hingabe, mit der er die Welten der Tiere und Pflanzen erforscht. Er hat den Sound der Straße im Ohr, er kennt die Testgelände der ästhetischen Avantgarden, er ist vertraut mit der tückischen Magie der Medien.“

Einen guten Einstieg in Beyers differenziertes Werk bietet der Roman „Flughunde“, der ihn 1995 weit über die Grenzen Deutschlands bekannt machte und mittlerweile in 14 Sprachen übersetzt ist. Er spielt in der Nazi-Zeit, am Ende des Zweiten Weltkriegs, es geht um Experimente mit der menschlichen Stimme, um den Missbrauch der Sprache durch Propaganda. Erzählt wird aus den Perspektiven Karnaus, eines irren Akustikers, und Helgas, einer Tochter von NS-Minister Goebbels. Dieses populäre Buch ist seit 2013 zudem als Graphic Novel erhältlich. Auch die Romane „Spione“ (2000) und „Kaltenburg“ (2008) beschäftigen sich mit der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Letzterer führt nach Dresden, u. a. zu einem Verhaltensforscher, der an Konrad Lorenz erinnert. Noch recht aktuell: der Prosaband „Putins Briefkasten. Acht Recherchen“ (2012).

Beyer ist ein gelehrter Autor, der kühne, sinnliche, artistische Gedichte schreibt. Sein Lyrikdebüt 1991 hieß „Walkmännin“. Zuletzt erschien 2014 der Band „Graphit“, an dem er zwölf Jahre gearbeitet hatte. Beyer brilliert auch mit differenzierten Textanalysen. Anfang 2016 hielt er die Frankfurter Poetikvorlesung: „Das blinde (blindgeweinte) Jahrhundert“. Er ist zudem Librettist – mit dem Komponisten Enno Poppe schuf er bisher drei Opern. Der Büchner-Preis setzt das Lob auf den Autor logisch fort. Beyer wurde zuvor schon mit einer Fülle an Auszeichnungen geehrt, die Namen anderer großer Dichter tragen: Johnson, Breitbach, Böll, Hölderlin, Fried, Kleist, Pastior, sowie die Literaturpreise von Bremen und Düsseldorf. (norb)

ZUR PERSON

Marcel Beyer, 1965 in Tailfingen geboren, studierte an der Uni Siegen Literaturwissenschaften und schrieb eine Magisterarbeit über Friederike Mayröcker, die ihn stark beeinflusste. Bereits zuvor gab es von ihm Performance-Arbeiten. Sein Romandebüt erfolgte 1991 mit „Das Menschenfleisch“, das bekannteste seiner mehr als ein Dutzend Bücher ist der Roman „Flughunde“ von 1995. Sein Werk umfasst auch Erzählungen, Lyrik („Erdkunde“, „Graphit“), Essays („Nonfiction“), und Libretti („IQ. Testbatterie in 8 Akten“). [ APA/Jacqueline Merz ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2016)

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Der mit 50.000 Euro dotierte Preis wird am 5. November verliehen. "Seine Texte sind kühn und zart, erkenntnisreich und unbestechlich", so die Begründung der Jury.

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