Franz Schuh: „Das hat eine Wucht!“

Franz Schuh
Franz SchuhDie Presse/Clemens Fabry
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Der Schriftsteller und Essayist Franz Schuh liest in Gmunden und Schärding zu Jazzbegleitung. “Die Presse am Sonntag„ traf ihn zur Erörterung musikalischer Fragen.

Kennen Sie das musikalische Werk von Nietzsche?

Franz Schuh: Ja, ja, ich hörte Nietzsche. Nietzsche führt man mir immer vor die Ohren, wenn's um dessen Kulturkritik an Wagner geht. Dann muss ich immer erblassen, weil Nietzsches Kompositionen sich nicht im Geringsten mit dem vergleichen lassen, was man von Wagner zu hören bekommt. Das ändert aber nichts daran, dass Nietzsches Kritik an Wagner der Inbegriff von Kulturkritik ist: Die Prinzipien des Gegners werden in aller Feindseligkeit bloßgelegt.

Worin hatte Nietzsche also recht?

Er trifft Wagner mit der Behauptung, nach dessen Musik könne man nicht tanzen, sondern nur schwimmen. Dieses die Wachheit Übertrumpfende, dieses Transzendieren in eine Art Rausch vor bürgerlichem Publikum (das Nietzsche verabscheute), die Droge Wagner, der dumpfe Kult – das ist eine Gemeinheit, die der frühere Anhänger dem Meister gut begründet hineinsagen kann. Wagner, auch wenn er sein Werk als Gesamtkunstwerk geplant hatte, blieb auf die Opernhäuser beschränkt. Das war dem Philosophen zu wenig an Dionysischem!

Trotz seiner geharnischten Kritik hat Nietzsche am Ende seines Lebens konstatiert, dass Wagner dennoch das große musikalische Erlebnis seines Lebens war. Wie ist das zu erklären?

Das ist etwas, was vor allem in Wien schwer verstanden wird: Man kann jemanden kritisieren und zutiefst ablehnen und sich gleichzeitig in der Ablehnung selbst finden. Man lernt sich in der Negation selbst kennen und ist dem Auslöser dafür dankbar. Man verkündet, dass man sich mit jemandem, der weniger groß gewesen wäre, erst gar nicht zu messen gebraucht hätte. Das ist auf der einen Seite die Eitelkeit des Geniekults, auf der anderen Seite zeigt sich, dass man gerade als Genie die Größe eines Gegners anerkennen kann. Aufgrund der eigenen Bedeutung weiß man, was auch für den anderen auf dem Spiel steht.

Der junge deutsche Jazzpianist Michael Wollny hat jüngst Nietzsches „Fragment an sich“ auf Platte eingespielt. Können Sie sich dieses Stück mit leicht jazzigen Untertönen vorstellen?

Ich kann mir alles mit leicht jazzigen Untertönen vorstellen. Ich bin 1947 geboren, und das ist die Klangwelt, in die man hineinwuchs. Amerika, Amerika. Auch wenn Adorno mit einsichtigen Parolen den Jazz ablehnte, bin ich in der Lage, mit dieser Musik etwas anzufangen. Eine der Vorstellungen Adornos war ja, dass der Jazz mit einem Freiheitsversprechen hausieren geht, das er keineswegs hält. Könnte es nicht sein, dass das für alle Künste gilt?

Der Jazz hat jedenfalls die Dissonanz für weitere Kreise genussfähig gemacht. Sehen Sie das auch?

Ja, die Dissonanz. Sie betrifft die Ästhetik überhaupt. In ihr ging es einst um das Schöne, aber die Kraft des Sinnlichen ist größer als die Sehnsucht nach Ebenmaß, und schon stand die Ästhetik des Hässlichen zur Debatte.

Demnächst werden Sie Ihren Text „Schopenhauer am Inn“ zu von Paul Zauner gespielten Jazzstücken von Abdullah Ibrahim bei den Festwochen Gmunden sowie in Schärding lesen. Was steht da zu erwarten?

Ich war an einem Todestag von Schopenhauer in Schärding. Ich blickte auf den Inn. Als schlafloser Mensch hab ich das Hellwerden erlebt. Zunächst lag der Fluss im Nebel, man konnte die Hand vor Augen nicht sehen, und wie der Fluss sich zuerst langsam, dann jäh sichtbar machte, das war eine Art Erweckungserlebnis. Nicht im metaphysischen Sinn, sondern praktisch: Der Fluss entbirgt sich, und die Menschen erwachen zu Fleiß und Industrie.

Wie kam Schopenhauer ins Bild?

Durch seine Bilder von Leben und Tod. Schopenhauer war der Philosoph, der hart daran arbeitete, das Leben vom Tod zu scheiden und die Gegensätze dennoch miteinander kompatibel zu machen. Kenner haben mir erklärt, ich dürfe mir Richard Wagner nicht vorstellen, wie er Schopenhauer studiert. Um „Tristan und Isolde“ zu verstehen, ist aber das Kapitel „Über den Tod“ aus „Die Welt als Wille und Vorstellung“ wenigstens nicht von vornherein irreführend. Ein wesentliches Motiv von „Tristan und Isolde“ kommt dort vor: Der Tod als die große Gelegenheit, nicht mehr Ich zu sein, der Verlust der Individualität als Erlösung. Das ist für jeden vitalen Menschen ein ungesunder Gedanke. Aber er ist traditionsbildend, auch in dem Sinn, in dem es bei Thomas Mann heißt, „dass alle höhere Gesundheit durch die tiefen Erfahrungen von Krankheit und Tod hindurchgegangen sein muss, so wie die Kenntnis der Sünde eine Vorbedingung der Erlösung ist“.

Woher kennen Sie den Posaunisten Paul Zauner?

Ich hab ihn bei den Salzkammergut Festwochen im Stadttheater Gmunden erlebt. Dieses Stadttheater ist ideal für etwas leicht Manieriert-Altes. Wunderbar war Michael Heltau in diesem kleinen Theaterraum. Und wenn in diesem Theater ein Jazzer spielt, dann ist das ein Widerspruch zwischen Architektur und Performance, aber einer, der etwas Aufreizendes, Erfreuliches und Ermunterndes hat. An Zauners Musik gefällt mir, was man in der Ästhetik „Kraft“ nennt. Das hat eine Wucht, etwas Mitreißendes, ist eine Musik, die Affekte erzeugt. Dann gefällt mir Zauners Performance. Ich glaube, er besitzt nur ein einziges T-Shirt, und das ist ihm berufsmäßig viel zu kurz. Daher ist er jemand, der sein Instrument buchstäblich auch mit dem Bauch spielt.

Der Jazz hat die schöne Melancholie stark forciert. Der Aphoristiker Cioran befürchtete, dass in einer Welt ohne Melancholie die Nachtigallen zu rülpsen begännen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es gibt einen linken, aber auch einen liberalen Diskurs, der die Melancholie ablehnt und sie zum Teil sogar als Abzeichen des Faschismus stigmatisiert. Darunter hat nicht zuletzt Cioran leiden müssen, der allerdings in seiner Jugend tatsächlich ein Faschist war. Die Melancholie ist oft ein Protest gegen die Vitalität derer, die ununterbrochen etwas unternehmen. Diese Abkehr von eingebürgerter Vitalität kann schon etwas Schönes haben – vielleicht in dem Maße, in dem die Schönheit nicht gerade die Stärke der Welt der Manager ist.

„Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“, sagte Nietzsche. Welche Musik ist für Sie unverzichtbar?

Richard Wagner. Alle Menschen, die unmusikalisch sind, aber einen ausgeprägten Sinn für artistische Unternehmungen haben, sind Wagnerianer. Uns retten vor der Verdammnis nur die Wagnerianer, die musikalisch sind und die von Musik wirklich etwas verstehen.

Steckbrief

1947. Franz Schuh wird in Wien geboren.

1975. Promotion mit einer Arbeit über den Philosophen Hegel.

1976. Laienschauspieler in John Cooks „Schwitzkasten“.

1995. „Der Stadtrat. Eine Idylle“ erscheint.

2008. „Memoiren. Ein Interview gegen mich selbst“ (Zsolnay).

Am 12. und 13. 7. 2016liest Franz Schuh seinen Text „Schopenhauer am Inn“ zum vom Paul-Zauner-Clemens-Salesny-Quintett gespielten Jazz von Abdullah Ibrahim: Dienstag, 12. 7., Stadttheater Gmunden;
Mittwoch, 13. 7., Schlosspark oder Kubinsaal (je nach Wetter) in Schärding.

Michele Pauty

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2016)

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