Erfolg hat immer Recht

Wolfgang Mueller pendelt zwischen Berlin und Los Angeles.
Wolfgang Mueller pendelt zwischen Berlin und Los Angeles.Autorenporträt: privat; Copyright-Vermerk für das Gemälde im Hintergrund: „Lunatics“, Öl auf Leinwand, (c) Florian Pelka.
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Wolfgang Mueller hat mit “Der Freund von früher„ eine sarkastische Abrechnung mit einem goldenen Viereck geschrieben: Medien, Mörtel, Macht und Mammon.

Albert Hieronymus Lasser ist ein Bild von einem Mann. Zwar schon um die 40 und ein bisschen in die Jahre gekommen, aber auf die richtige Art und Weise, mit diesen Falten um die Augen, die von Humor zeugen, und jenem Zug um den Mund, der beweist, dass dieser Mensch das Leben in vollen Zügen zu genießen weiß. Die Männer beneiden ihn, die Frauen schwärmen für ihn. Schade eigentlich, dass diese Person nur eine Kunstfigur ist, die sich der erfolglose Schauspieler Albert für einen Werbefilm für Fertigmenüs ausgedacht hat. Doch dann ist Albert plötzlich tot, und seine Freunde stehen vor den Trümmern seines Lebens. Und zunehmend auch ihrer eigenen Existenzen.

Das gilt vor allem für Oscar Heym, den Protagonisten von Wolfgang Muellers Roman „Der Freund von früher“. Mueller, Jahrgang 1967, blickt selbst auf eine facettenreiche Karriere zurück. Früher war er als Rechtsanwalt für Musiker und Künstler tätig, heute pendelt er als Filmproduzent zwischen Los Angeles und Berlin, wo er mit seiner Familie lebt. Unter dem Pseudonym Oscar Heym hat Mueller bereits in den 1990er-Jahren Romane veröffentlicht.

Nun hat er diesen Namen seinem glücklosen Anti-Helden verpasst. Oscar trifft in einem Café in Berlin-Mitte zufällig seinen ehemals besten Freund Albert, mit dem er jahrelang eine Wohnung und das wilde, gute Leben geteilt hat. Doch dann traf er Clara, und ihr Wunsch nach mehr Ordnung und Bürgerlichkeit verschlug Oscar in ein Reihenhaus nach Spandau. Dort schreibt er Drehbücher, von denen niemand etwas wissen will. Albert lädt Oscar in die alte gemeinsame Wohnung ein, doch als dieser dort auftaucht, ist der Freund von früher mausetot.


Quotenhit mit einem Toten. Zurück bleibt ein seltsamer Scherbenhaufen: E-Mails an eine geheimnisvolle Frau namens Emma; die Wohnung in einem Haus, aus dem neue Investoren die alten Mieter vertreiben wollen; und der Fertiggericht-Werbefilm, der wider Erwarten ein Quoten-Hit wird, allerdings mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass sein Hauptdarsteller nicht mehr lebt.

Oscar wird zunehmend in die Welt hineingezogen, die Albert zurückgelassen hat: Bald hat er sich mit seiner Freundin zerstritten, wohnt wieder in der Wohnung in Berlin-Mitte, schreibt unter Alberts Namen an Emma, verfasst ein Skript für die Fortsetzung des Werbefilms und muss sogar als Alberts Body-Double einspringen. Doch der junge Mann ist dieser Welt nicht gewachsen, in der jeder jeden über den Tisch zieht, alles einen doppelten Boden und Erfolg immer Recht hat. Ungeschickt stolpert Oscar von einer Katastrophe in die nächste, lässt sich ausnützen und hinters Licht führen.

Während der Leser hofft, dass das – oder der – Gute doch noch siegen wird, lotet Wolfgang Mueller die Skala der Unwahrscheinlichkeiten aus. Der Roman ist spannend und kurzweilig, vor allem aber ist er eine sarkastische Abrechnung mit zwei Milieus, die sich in einem Punkt treffen: Beiden ist die Moral egal, es geht ausschließlich um das schnelle und möglichst große Geld. Das gilt für die Welt der Medien und der Werbung, die Mueller auch sprachlich aufs Korn nimmt. Diese Welt verständigt sich in einer „speak“, die vor sinnentleerter Schaumschlägerei nur so trieft, mit all ihren „challenges“, die allesamt echt „crazy“ sind.

Das gilt auch für Muellers zweites Ziel, die Immobilienspekulanten, die sich so nebenbei eine Straße kaufen und damit die Stadt Berlin (und nicht nur sie) ihrer Seele berauben. Willige Helfer finden sie ausgerechnet in jenen Bewohnern, die vor einigen Jahren gegen solche Entwicklungen noch protestiert hätten. Mittlerweile sind sie selbst käuflich und gierig geworden. Aber, wie schreibt Mueller so schön: „Jeder konnte schließlich zu jeder Zeit ein anderer werden. Sich wandeln war ein Menschenrecht.“ Wenn auch nicht immer unbedingt zum Besseren.

Neu Erschienen

Wolfgang Müller
„Der Freund von früher“

btb-Verlag
235 Seiten

20,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2016)

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