Ein Haus, das der Literaturwelt gehört

Ein Haus, das der Literaturwelt gehört
Ein Haus, das der Literaturwelt gehört(c) Imago
  • Drucken

Thomas Manns kalifornische Villa wird verkauft. Droht die Abrissbirne?

Fünf Sätze reichen einem kalifornischen Immobilienmakler, um ein derzeit zum Verkauf stehendes Anwesen in einem noblen Vorort von Los Angeles zu beschreiben: Seit 65 Jahren ist die Villa erstmals auf dem Markt. Sie ist von dichtem Baumwuchs umgeben und liegt am San Remo Drive, einer der begehrtesten Adressen an der Pacific Palisades Riviera. Baujahr der traumhaften Privatresidenz „in the ultra-exclusive upper Riviera neighborhood“ ist 1941,  Preis der Immobilie 15 Millionen Dollar, Grundstücksfläche 4000 Quadratmeter. Was fehlt (wohl mit Absicht, um nicht schlafende Hunde aus den Kulturschutzabteilungen zu wecken), ist ein Hinweis auf den ersten Besitzer und Erbauer der Immobilie: Es war Thomas Mann, Literaturnobelpreisträger aus Deutschland und auch im angelsächsischen Raum ein kultisch verehrter Autor.

Für Literaturkenner ist 1550 San Remo Drive jene Adresse, in der Manns Tetralogie „Joseph und seine Brüder“ fertiggestellt und der „Doktor Faustus“ geschrieben wurde. Kenner glauben sogar, in der Beschreibung der Nillandschaft des Josephs-Romans eine Widerspiegelung des tropischen Palmengartens am San Remo Drive zu erkennen. Unter Denkmalschutz steht das Gebäude nicht, es kann vom neuen Käufer, der dieser Tage möglicherweise zugreifen wird, auch abgerissen werden, etwa wenn er mit der Zahl von fünf Zimmern unzufrieden ist. An Mann erinnert nur eine kleine Gedenkplakette neben dem Klingelknopf. Die Familie des angesehenen Rechtsanwalts Chet Lappen, die Anfang der 50er Jahre das Anwesen von Mann erwarb, hielt sein Andenken hoch. Seit 2002 hatte sie das Objekt vermietet.

(c) Imago

Gefahr für die Substanz der Villa bestand bis jetzt nicht, die Eigentümerfamilie war sich bewusst, einen bedeutenden Erinnerungsort der deutschen Literaturgeschichte zu besitzen. Doch mit dem Tod von Chet Lappen 2010 änderte sich die Situation. Niemand könnte heute einen Abriss nach der Änderung der Besitzverhältnisse verhindern. Von einem Interesse öffentlicher Stellen, etwa der deutschen Kulturpolitik, ist nach Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ nichts zu vernehmen. Die nahegelegene Villa Aurora, in der Lion Feuchtwanger als Emigrant gelebt hatte, dient heute als Kulturdenkmal und Künstlerresidenz. Auch Bertolt Brechts Haus in Santa Monica konnte – wenngleich in Privatbesitz und nicht öffentlich zugänglich – erhalten werden.

"Wo ich bin, ist Deutschland"

Der Entschluss, Deutschland den Rücken zukehren, war Thomas Mann 1938 nicht leicht gefallen, die „vergiftete“ Atmosphäre zwang ihn jedoch dazu, er wählte zunächst Princeton in den USA aus und tröstete seine deutschen Anhänger von dort: „Wo ich bin, ist Deutschland.“ Doch das Klima an der Ostküste behagte ihm nicht, er atmete schwer in der feuchten Tropenluft des Sommers. So begann Ehefrau Katia mit der Suche nach einem Grundstück in Kalifornien, es fand sich auch eines nördlich von Beverly Hills, am stillen San Remo Drive hoch über der dramatisch zerklüfteten Küste, mit einem subtropischen Garten und einem schönen Ausblick aufs Meer. Er kaufte das Grundstück für angemessene 6500 Dollar im September 1940.

Allmählich versammelte sich auch die aus Europa emigrierte Familie um ihn, die Söhne Klaus und Golo, die Töchter Erika und Monika, Bruder Heinrich. Der Bau eines geräumigen Hauses im nicht ganz strengen Bauhaus-Stil durch den Architekten Julius Ralph Davidson kostete nach Voranschlag 22.000 Dollar, 16.000 musste er als Hypothek aufnehmen, eine beträchtliche Belastung für das Ehepaar Mann, das ihnen Sorgen bereitete: „Ein etwas kecker, eigensinniger Streich bei meinen gegenwärtigen Verhältnissen.“

Thomas Mann circa 1940
Thomas Mann circa 1940(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)

Mann ärgerte sich auch darüber, dass ein reicher Schweizer Mäzen Hermann Hesse ein schönes Haus im Tessin gebaut hatte. „Warum ist in diesem Lande nie eine Stadt, eine Universität auf den Gedanken gekommen, mir etwas Ähnliches anzutragen?“. Es ließ sich kaum absehen, wann er von den finanziellen Pflichten für die Kinder entlastet sein würde. Als beim offiziellen Baubeginn Reporter und Fotografen aus Santa Monica eintrafen, meinte er: „Die Herren von der Presse werden mir auch nicht helfen, wenn die erwarteten troubles sich einstellen.“ Troubles! Offensichtlich hatte sich der strenge Sprachpurist schon an den US-Alltagsjargon gewöhnt.

"Die Bibliothek nimmt sich darin unvergleichlich besser aus"

Nicht ohne Stolz stellte der Villenbesitzer Mann über seinen neuerworbenen „Zauberberg“ fest: „Die Bibliothek nimmt sich darin unvergleichlich besser aus als in Princeton.“ Zehn Jahre, von 1942 bis 1952 lebte er hier, doch ganz glücklich wurde er in Pacific Palisades, das wegen der zahlreichen deutschen Emigranten „Weimar on the beach“ genannt wurde, nicht. Die Emigrationsgenossen hielt er auf Distanz, vor allem den gehassten, weil so erfolgreichen Erich Maria Remarque und die ganze verachtete kalifornische Talmi-Welt. Ehefrau Katia ätzte über den Besucher Theodor W. Adorno: „Der Mann war ja närrisch vor Eitelkeit.“

Ganz in der Nähe, in der Villa Aurora, wohnte Lion Feuchtwanger, als Nachbar geschätzt, als Literat weniger. Gerne traf sich Mann mit dem Soziologen Max Horkheimer, der ebenfalls ein schönes Haus am San Remo Drive besaß, zu „Gesprächsorgien.“ Doch: Die Nähe der Wüste war unbehaglich, die öden verkarsteten Berge verstörten ihn, die Weiträumigkeit der leeren Landstriche war nicht geheuer. „Amerika blieb ihm die Fremde.“ (Klaus Harpprecht). Im Tagebuch hielt er fest, dass er gerne in der Schweiz leben würde: „Das Eigentliche ist, dass ich dort sterben möchte und nicht hier.“ So kam es dann auch, bekanntlich verbrachte er nach der Rückkehr nach Europa seine letzten Lebensjahre in Kilchberg in der Schweiz, wo er auch starb.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.