Politiker und Literatur: Harter Hemingway für mächtige Männer

Der junge Fidel Castro verschlang Victor Hugo, vor allem „Les Misérables“, auch Hemingways Roman über den Spanischen Bürgerkrieg prägte ihn. Das Bild zeigt ihn als Regierungschef, 1965.
Der junge Fidel Castro verschlang Victor Hugo, vor allem „Les Misérables“, auch Hemingways Roman über den Spanischen Bürgerkrieg prägte ihn. Das Bild zeigt ihn als Regierungschef, 1965. (c) Anonym / Imagno / picturedesk
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Sie lieben „Wem die Stunde schlägt“ und „Der kleine Prinz“, Marc Aurel und die Bibel – oder wollen, dass die Welt das glaubt. Warum wohl?

Die deutsche Bildung ist kein Inhalt, sondern ein Schmückedeinheim, mit dem sich das Volk der Richter und Henker seine Leere ornamentiert“, heißt es in Karl Kraus' „Letzten Tagen der Menschheit“ – und das Heim ist durchaus wörtlich zu nehmen. Eine gutbürgerliche Wohnung war einst ohne gut bestückte Bibliothek undenkbar; sie sollte den Besuchern auch zeigen, wer man war – und als wer man gesehen werden wollte. Heute macht man das eher mit anderen Mitteln; aber die Frage nach Lieblingsbuch bzw. Lieblingsbüchern wird Politikern immer noch gern gestellt. In den USA nennen Demokraten wie Republikaner nach wie vor am häufigsten die Bibel. Donald Trump konnte zwar 2015 kein Lieblingszitat daraus nennen, mittlerweile hat er aber auch das parat: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Hillary Clinton gab dieselbe Lieblingslektüre an, „auf die Gefahr hin, vorhersehbar zu erscheinen“.

Man stelle sich vor, Hofer und Van der Bellen, Merkel und Steinbrück oder Hollande und Sarkozy wären sich in dieser Frage einig: dass sie am liebsten in der Bibel lesen. In Europa sind die Erwartungen doch anders; was „ornamentieren“ hier Politiker mit der Verkündigung ihrer Lieblingslektüre? Nicht unbedingt ihre „Leere“, fast immer aber die öffentliche Person, die sie darstellen wollen. Manche nehmen die Frage danach gleich vorweg, zum Beispiel vor Wahlen auf ihrer Facebook-Seite.

Stefan Zweig: zu altmodisch für Sarkozy

So tat es auch 2012 der damalige französische Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy. Bemerkenswert versiert zeigte er sich da, was interessante französische Neuerscheinungen angeht. Ganz anders hatte die Liste seiner „Lieblingsbücher“ auf seiner alten Facebook-Seite vor dem Wahlkampf ausgesehen: ehrlicher vielleicht. Aber eine Erzählung von Guy de Maupassant und Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ passten wohl nicht mehr zum Bild eines populären Staatschefs und dynamischen Erneuerers.

Einmal will ein Politiker betonen, dass er „auf der Höhe seiner Zeit“, einmal, dass er im „guten Alten“ verwurzelt ist. Recep Tayyip Erdoğan präsentiert sich als Bewunderer des großen, 1936 verstorbenen Dichters Mehmet Âkif Ersoy, der auch den Text der türkischen Nationalhymne verfasst hat; auf einer AKP-Versammlung erklärt er gar, jeder Bürger solle seine Bücher im Regal stehen haben. Dieses Plädoyer ist auch ein klares politisches Statement. Mit einem einzigen Wort – dem Namen des „Lieblingsautors“ – zeigt sich da ein Politiker als zugleich nationalistisch, volkstümlich, islamisch und dem Westen (nur) in Maßen aufgeschlossen; Mehmet Âkif bewunderte französische Autoren und den westlichen Fortschritt, wollte aber für sein Land dennoch einen eigenständigen „islamischen“ Weg.

Er wolle keinen Tag ohne Buch verbringen, berichtet ein türkisches Online-Nachrichtenportal ohne Quellenangabe über den Präsidenten; das klingt eher nach dem Vielleser Theodore Roosevelt, der an freien Tagen zwei bis drei Bücher abends verschlungen haben soll, als nach Erdogan, der in einem weltlicher Bildung abholden Milieu aufwuchs und auch später nie als belesen auffiel, außer in der religiösen Literatur. Erdoğan liebe Eric Hobsbawms Buch „Zeitalter der Extreme“ über das „kurze 20. Jahrhundert“ und Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“, heißt es im Internet auch. Belesene Politiker verraten sich oft eher durch weniger „staatstragende“ Buchtitel. Wie Deutschlands Bundespräsident, Joachim Gauck, mit Bohumil Hrabals Roman „Ich habe den englischen König bedient“ oder Österreichs Ex-Bundespräsident Heinz Fischer mit Arthur Koestlers Roman „Sonnenfinsternis“ über die stalinistischen Säuberungen. Auch Kreisky liebte Bücher, besonders den „Mann ohne Eigenschaften“, den er in die Gestapo-Haft und in das schwedische Exil mitnahm. Es heißt, er habe das Buch sogar in das Schwedische zu übersetzen begonnen und (vergeblich) einem Verlag angeboten.

Der Roman, der Putin und Obama eint

Barack Obamas Angaben wirkten zum Teil bemerkenswert individuell, doch eine Vorliebe hatte er 2011 erstaunlicherweise nicht nur mit seinem Wahlkontrahenten John McCain, gemein, sondern auch mit Wladimir Putin: den Hemingway-Roman „Wem die Stunde schlägt“, der von einem im Spanischen Bürgerkrieg kämpfenden Amerikaner erzählt. Auch Putin nannte das Buch 2011 in einem US-Magazin als Favoriten. Es hatte bereits Fidel Castro begeistert („Als ich im Gebirge war, erinnerte ich mich oft an das Buch“); warum zieht es so Mächtige so an?Vermutlich vor allem wegen des Protagonisten, männlich, tapfer, von Verantwortung für die Gemeinschaft beseelt. Und, für Putin reizvoll: Ein Amerikaner zeichnet die (für die Republikaner kämpfenden) Sowjets in gutem Licht.

Ehrliche Liebeserklärung und gezielte Selbstdarstellung schließen einander nicht aus. Ein oft genanntes Politiker-„Lieblingsbuch“, etwa von Bill Clinton und dem deutschen Politiker Helmut Schmidt: die „Selbstbetrachtungen“ des Marc Aurel. Das Buch begleite ihn seit 75 Jahren, sagte Schmidt in einem Interview, und habe ihm immer wieder sehr geholfen. Es mahnt zu Pflichtbewusstsein und Gelassenheit, das steht Politikern gut an.

Hang zum Kindlichen: Merkel, Hollande

Und was wollen Politiker mitteilen, wenn sie sich zum „Kleinen Prinzen“ bekennen (wie François Hollande und der deutsche Ex-Bundespräsident Christian Wulff)? „Also wirklich, wenn man in dem Alter nicht weiter ist . . .“, ätzte Sarkozy über seinen Kontrahenten Hollande. Er dürfte nicht viel Beifall bekommen haben, die Franzosen lieben Antoine de Saint-Exupérys Buch. Auffällig ist aber doch: Hollande, Merkel, Obama – sie alle haben unter ihren offiziellen Lieblingsbüchern etliche Jugendlektüren (Merkel unter anderem „Jim Knopf“ und „Emil und die Detektive“). Steckt darin nicht auch ein wenig die Botschaft „Liebt uns, wir sind ganz harmlos“?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2016)

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