Nick Hornby: Nimm dir ein Leben!

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Obsession für Popmusik, Kinder(losigkeit), Lebenskrisen: Der britische Erfolgsautor Nick Hornby variiert in seinem siebten Roman "Juliet, Naked" seine Lieblingsthemen virtuos.

Rock'n'Roll (I Gave You the Best Years of My Life)“ heißt ein trivialer, berührender Song aus dem Jahr 1973. Das könnte auch das Motto des neuen, siebten Romans von Nick Hornby sein, der wie alle seine Romane davon handelt, welchen Obsessionen man die besten Jahre des Lebens schenkt (und welches Leben man dabei versäumt). Diesmal ist es wieder der Rock'n'Roll selbst, in Gestalt des 1986 aus der Öffentlichkeit verschwundenen, mythenumwobenen Singer/Songwriters Tucker Crowe, der Wut und Schmerz, Zorn und Trauer ausdrücken konnte wie kein anderer.

Zumindest glaubt das der kleine Kreis seiner eingeschworenen Fans, zu denen Duncan gehört, ein englischer Fortysomething, der seine ganze Leidenschaft dem Studium der raren Werke Tucker Crowes gewidmet hat – und den Spekulationen über die romantische, fragile Künstlerpersönlichkeit, die dahinterstecken muss. Zu Beginn des Romans erleben wir ihn auf einer Pilgerreise durch die amerikanischen Orte, an denen Crowe gewirkt hat, von der Toilette, in der er laut Mythos seinen Abgang beschlossen hat, bis zum Haus seiner Geliebten Julia, auf dessen Fenster er Steinchen geschossen hat.

Duncans Freundin Annie, 39, begleitet ihn, zunehmend von der Frage gequält, „ob ihr gesamtes Leben reine Zeitverschwendung gewesen war“. Zumindest die 15 Jahre mit Duncan, mit dem sie das Schicksal der Kinderlosigkeit teilt, im Gegensatz zu ihm unfreiwillig. Und die Langeweile. „Ich weiß, ,get a life‘ ist ein Klischee“, sagt sie einmal, aber genau diese schwer übersetzbare englische Phrase könnte das zweite Motto des Buchs sein: Get a life! Lebe dein eigenes Leben!

Tucker Crowe lebt sein eigenes, freilich kaum erfüllteres Leben, indem er sich privatisiert, seinen Bewunderern entzieht. Anfangs der große Abwesende, kommt er durch eine geistreiche Wendung als reale Person, als dritte Hauptfigur in die Geschichte: Duncan schreibt eine Internetrezension über ein neu erschienenes Album mit alten Aufnahmen Crowes, rohen Proberaumversionen seines Schlüssel- und Meisterwerks „Juliet“. Annie, angewidert von Duncans Schwärmerei für das Unfertige, Grobe, scheinbar Authentische, reagiert ihrerseits mit einer respektlosen Besprechung, die sie auf die Fanhomepage stellt. Darauf bringt sich Tucker Crowe selbst ins Spiel: Er bedankt sich für ihre „wohlwollende und scharfsinnige Kritik“ – und tritt höchstselbst in ihr Leben ein.


Falsches Foto. Natürlich ist er ganz anders, auf ganz andere Weise gealtert und desillusioniert, als seine Hardcorefans glauben, die sogar ein Foto adorieren, das nur vermeintlich ihn zeigt. Diese Pointen sind aufgelegt wie ein Elfmeter (und virtuos geschossen). Seine wirkliche Meisterschaft zeigt Hornby in der weiteren Verschränkung der drei rührenden Schicksale, in Häusern und Betten, im Spital und im Museum einer englischen Kleinstadt. Wobei er sein zweites Lieblingssujet – neben der Obsession für Popmusik – so einfühlsam einbringt wie in seinem großen Väterlichkeitsroman „About a Boy“: die Kinderlosigkeit als Lebenstragödie, Kinder als die beste Möglichkeit, dem Erstarren der eigenen Existenz nicht wie gelähmt zuzusehen. „Get a life“, das heißt für Hornby auch und vor allem: Trau dich, Kinder zu bekommen.

So gilt auch diesmal Hornbys besondere Liebe einer kindlichen Nebenfigur: dem sechsjährigen Sohn Tucker Crowes, der von der Angst gequält wird, dass sein Vater bald sterben könnte und der sich mit seinem Vater Gedanken darüber macht, ob die Halbgeschwister, die ihm dieser nach und nach vorstellt, Fleisch essen. Das tun sie nicht, denn „Tucker hatte seine Jugend an leichenblasse englische Models mit Wangenknochen statt Brüsten verschwendet, und dafür musste er nun bezahlen“. Etwa indem er deren Kinder nicht mit Frankfurter Würsteln zufriedenstellen kann...

Auch so klischeehaft spielt das Leben. Am Ende steht Crowe wieder davor, der Mann, dessen tragischer Song „You and Your Perfect Life“ so viele darin bestärkt hat, neben ihrem Leben zu stehen. Man meint den (fiktiven) Song zu kennen, so gut wird er beschrieben, nach der – obligaten! – Verfilmung wird man ihn kennen. Hoffentlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2009)

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