Deutscher Buchpreis: Erzählen über Glück und Bregenz

(c) Clemens Fabry
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Vier Schriftsteller aus Österreich sind heuer auf der Longlist. Wovon handeln ihre Werke? Wie stehen die Chancen? Eine Einschätzung.

Wer wird den Deutschen Buchpreis 2016 gewinnen? Schaffen es Österreicher ins Finale? 98 Verlage haben sich für die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung angemeldet, 156 Romane wurden eingereicht. Die Jury hat diese Textmassen gelesen und sich auf eine Longlist von 20 geeinigt. Am 20. September wird eine Shortlist mit sechs Büchern publik gemacht. Bis 17. Oktober entscheidet sich dann, welcher deutschsprachige Romancier den Preis zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse erhält.

Obwohl von den Juroren diesmal sechs aus Deutschland und eine aus der Schweiz kommen, sind zwei Autorinnen und zwei Autoren aus Österreich auf der Longlist, neben 14 Deutschen und zwei Schweizern. Was bieten diese vier – und andere Autoren, die wegen ihrer Popularität vielleicht mehr Chancen hätten, nicht? Nicht gelistet sind etwa Norbert Gstrein, Sabine Gruber, Thomas Glavinic, Teresa Präauer, Clemens Berger, Evelyn Schlag, Hanno Millesi, Bettina Balàka, Michael Köhlmeier oder Julya Rabinowich. Warum nicht? Die Antwort weiß nur die Jury.

Trend zum kurzen Roman

Doch wer will über Lücken klagen? Auch die Deutschen Martin Mosebach (Büchnerpreis) und Guntram Vesper (Leipziger Buchpreis) wurden diesmal ignoriert, wie „Die Welt“ maulte, die sogleich Frankfurter „Marketingstrategien“ als triviale Ausrede anführte. Das Zeitgeistmagazin „Cicero“ wiederum bedauerte, dass Matthias Zschokke mit „Die Wolken waren groß und weiß und zogen da oben hin“ übersehen wurde.

Was also zeichnet die vier Österreicher aus? Es handelt sich um recht frische Namen – und recht kurze Texte, die mit 200 bis 300 Seiten beinahe Grenzfälle der großen Gattung Roman sind. Das liegt heuer sogar im Trend. Sind sie Außenseiter? Nein, denn beim Deutschen Buchpreis schien Berühmtheit bisher eher hinderlich. Wer hätte 2015 gedacht, dass sich der deutsche Radiomoderator, Musiker, Illustrator, Essayist und Autor Frank Witzel mit dem maßlosen 817-Seiten-Monster „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ durchsetzt? Wer kann sich noch an all die Gewinner seit Einführung des Preises 2005 erinnern? Na also!

Sehr amüsant: Weidenholzer

Zu den vier Kandidaten aus Österreich: Anna Weidenholzer aus Linz, die 2010 mit dem Erzählband „Der Platz des Hundes“ debütierte und ihr sprachartistisches Können 2013 mit dem Roman „Der Winter tut den Fischen gut“ bestätigte, lieferte mit „Weshalb die Herren Seesterne tragen“ einen ziemlich anspruchsvollen Text. Die skurrile Geschichte über einen Glücksforscher namens Karl, der in einem schneelosen Skiort landet, ist zudem sehr amüsant zu lesen.

Der Oberösterreicher Reinhard Kaiser-Mühlecker ist der bekannteste der vier. Sein Romandebüt „Der lange Gang über die Stationen“ wurde bereits in statu nascendi preisgekrönt. Arnold Stadler, der ebenfalls Landleben facettenreich durchleuchtet (und heuer ebenfalls nominiert ist), jubelte damals über den jungen Kollegen: „Diese Stimme sagt mir, dass das Lesen und das Leben ein Glück sein können.“ Kaiser-Mühleckers neuer Roman „Fremde Seele, dunkler Wald“ über den Berufssoldaten Alexander, der vom Auslandseinsatz heimkehrt, zur Familie auf das Land, ein Flüchtender wie schließlich auch sein ungleicher Bruder Jakob, fällt im Vergleich zu Früherem ein wenig ab, wirkt bewusst altmodisch bis konventionell.

Ein fantastisches Werk hat dagegen Hans Platzgumer vorgelegt. Er ist ein Multitalent, vor 33 Jahren begann er als Gitarrist in Punkbands, arbeitete für Theater, Film, Hörspiel. Seit seinem Debüt „Tod der CD!“ (1987) sind viele Alben erschienen, seit 2005 veröffentlicht er auch Prosa. „Am Rand“, sein fünfter Roman, ist eine drängende, besonders im Finale bedrängende Story, extra dry, mit einem unheimlichen Protagonisten. Es geht um Glück und Tod, um Ausnahmesituationen. Ist der Protagonist Gerold Ebner ein Mörder oder doch ein Erlöser? Was für Bekenntnisse!

Fast schon wieder neu wirkt der Auftritt der Bregenzerin Eva Schmidt: „Ein langes Jahr“ ist ihre erste Veröffentlichung seit fast zwei Jahrzehnten, seit ihrem Roman „Zwischen der Zeit“ (1997). Bis dahin und für ihre Erzählungen in zehn Jahren davor war sie bei Granden der Literatur zurecht hochgeschätzt. In ihrem neuen Werk erzählt sie in gut drei Dutzend kurzen Episoden alltäglich scheinende Geschichten von einer Siedlung am See – ein ruhiger Beginn auf dem Balkon, aber all diese Miniaturen verdichten sich zu einem wunderbaren Ganzen. Augenlust für Augenmenschen. Eine Mutter, ihr Sohn, Künstler, Nachbarn, Hunde mit exotischen Namen. Klingt nach Idyll. Aber nur fast.

Originell: Schmidt, Platzgumer

Und wer wird gewinnen? Peter Stamm natürlich, mit „Weit über das Land“, hoffen patriotische Schweizer. Der Geheimfavorit sei der Lyriker, Dramatiker, Essayist und Übersetzer Gerhard Falkner mit seinem seit 30Jahren vorbereiteten Epochenromandebüt „Apollokalypse“ (Berlin-Verlag), enthüllen Verteidiger der Berliner Republik. Bei solchem Zwang dürfen Österreicher nicht nachstehen. Hier ein ganz persönlicher Tipp: Nach kursorischer Betrachtung sollten, könnten es Schmidt wie Platzgumer mit ihrer Originalität zumindest auf die Shortlist schaffen. Danach gibt es ohnehin eine nicht kalkulierbare Überraschung.

ÖSTERREICHER AUF DER LONGLIST

Anna Weidenholzer, geboren 1984 in Linz, mit „Weshalb die Herren Seesterne tragen“ (erschienen bei Matthes & Seitz).

Reinhard Kaiser-Mühlecker, geboren 1982 in Kirchdorf an der Krems, mit „Fremde Seele, dunkler Wald“ (S. Fischer).

Hans Platzgumer, geboren 1969 in Innsbruck, mit „Am Rand“ (Zsolnay).

Eva Schmidt, geboren 1952 in Bregenz, mit „Ein langes Jahr“ (Jung und Jung).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2016)

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