Von Donald Ducks Kennzeichen bis zum neuen Engel

Rudolf Taschner
Rudolf Taschner (c) Stanislav Jenis
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„Woran glauben“: Mathematiker Rudolf Taschner präsentiert in seinem neuen Buch „10 Angebote für aufgeklärte Menschen“. Eine geistreiche Tour durch menschliche Natur, Kultur und Sehnsucht, die in eine gewaltige Gott-Ich-Du-Trias mündet.

Waren die Zahlen, waren die Sätze der Mathematik in der Welt, bevor sie in unsere Köpfe (und damit in die Welt) kamen? Haben wir sie erfunden oder entdeckt? Wer das Glück hat, einen Mathematiker zu kennen, hat sich vielleicht schon getraut, ihn das zu fragen – und festgestellt, dass dieser sich auch nicht so ganz sicher ist. Doch Rudolf Taschner gibt in seinem neuen, bei Brandstätter erschienenen Buch eine sehr deutliche Antwort: „Ohne mein Dasein gibt es keine Mathematik. Die Vorstellung, Mathematik gäbe es in einer abstrakten platonischen Welt unabhängig von dem, der sie betreibt, ist absurd.“

Das hat z. B. der berühmte Mathematiker Paul Erdös anders gesehen: Perfekte Beweise seien „in The Book“ (groß geschrieben!), seinesgleichen könne nur das Glück haben, sie zu finden, pflegte er ganz platonisch zu sagen. Taschner selbst antwortete 2005 im „Presse“-Interview auf die Frage „Sie sind also Platoniker?“ so: „Noch viel mehr, ich bin Pythagoräer. Natürlich. Das ist es ja, was die Mathematik so faszinierend macht. Das Weltall mag vergehen, aber der Primzahlsatz wird auch bestehen, wenn es vergangen ist.“

Widersprechen einander Taschner 2005 und Taschner 2016? Logisch gesehen, ja. Aber mit Begriffen wie Welt, Ich, Gott oder Seele können wir eben nicht streng logisch umgehen, das hat uns spätestens Kant vorgeführt.

Gewagter gesagt: Wir können diese Begriffe nicht nackt ausziehen, und ihre Kleider sind Weltbilder, Haltungen, ja: Gefühle. Auch bei einem Mathematiker. Rudolf Taschner etwa ist im Grunde seines Herzens nicht Platoniker und auch nicht Pythagoräer, sondern Existenzialist. Und wie jeder kluge Existenzialist weiß er, dass er am Abgrund zum Solipsismus balanciert. „Die einzige Welt, die es gibt, ist die Welt meiner Wahrnehmungen“, schreibt er: „Ich habe nicht die geringste Chance, mich in eine andere Welt als in meine hineinzuversetzen.“ Und, lyrischer, in einer schönen Auslegung des „Doppelgängers“ von Heinrich Heine: „In allem Jammer der Welt erkennt das Ich immer nur sein Spiegelbild oder Teile davon. Am Ende schließlich zerbricht die Welt.“

„Erbarmungslose Einsamkeit“

Mit dieser Beschwörung der „erbarmungslosen Einsamkeit“ endet das vorletzte, dem Ich gewidmete Kapitel. Ihm folgt ein letztes, behutsameres, helleres: „Der Glaube an dich“. Es beginnt mit der Schöpfungsgeschichte – nicht mit dem Urknall, der „existiert“, so Taschner, nur, weil er erdacht worden ist –, in den beiden Varianten der Genesis. In der zweiten, aber älteren befindet Jahwe: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. So erschafft er, der Gott ohne Göttin, die Eva, damit das Du. Dieses bleibe immer „das eine, das einzige Du“, schreibt Taschner: „Allein aus der Ich-Du-Beziehung entstehen Gewissen und Moral.“ Da werden die Biologen protestieren – aber es ist nur konsequent in der Folge von Taschners letzten drei Kapiteln: Zuerst ist Gott einzig, dann das Ich, dann das Du. Das ganz zuletzt, in einem zarten, stillen Epilog, als Kind auftaucht. Nein, nicht als Gottessohn, vorsichtiger: als Angelus novus.

Vor dieser gewaltigen Schlusstrias behandelt Taschner andere Möglichkeiten des Glaubens: an Zahlen (im Speziellen 313, die Zahl des Autokennzeichens von Donald Duck), an Natur, Geschichte, Genuss, Zukunft, Kirche, Kunst. Man muss mit ihm nicht immer d'accord sein, man kann sich über ihn auch herzhaft ärgern (z. B. über seine Attacken auf Popmusik), er ist aber immer geistreich. Und manchmal grandios: wenn er etwa – in der Tradition Egon Friedells, an den er überhaupt oft erinnert – eine Theologie des unbekannten Gottes skizziert. Oder wenn er Roman Opalka würdigt, der die Zeit malte, indem er Jahr für Jahr, Tag für Tag, mit verblassendem Titanweiß die natürlichen Zahlen auf Leinwand schrieb, er kam bis 5607249. Da waren sie dann in der Welt, diese Zahlen.

Erstpräsentation: Donnerstag, 13. 10., 19 Uhr, in der Buchhandlung Frick, Wien 1, Graben 27.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2016)

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