Mutterunglück

Keine Mami wie im Bilderbuch: Elisa Albert hat einen Roman über das Aufbegehren einer Mutter geschrieben.
Keine Mami wie im Bilderbuch: Elisa Albert hat einen Roman über das Aufbegehren einer Mutter geschrieben.(c) Jen Mazer
  • Drucken

Elisa Albert lässt in „Einschnitt“ eine Amerikanerin zu Wort kommen, bei der sich das Glück nach der Geburt nicht einstellen will. Das Ergebnis: eine wütende und witzige Tirade.

„Wie kommt es, dass niemand einer Frau glaubt, wenn sie eine schreckliche Geschichte erzählt, nicht mal ihre eigene Mutter?“ Dieses Elisa Alberts Roman vorangestellte Zitat von Viva, Zeitgenossin Andy Warhols, Schauspielerin und Autorin, gibt treffend den Ton von „Einschnitt“ vor. Alberts Roman handelt von einer Schwierigkeit, die Mütter eigentlich allzu gut kennen sollten: dem Kinderkriegen.

Hauptfigur ist Ariella, Ari genannt, die in schnoddrigem Ton aus ihrem Leben erzählt, das nach der Geburt ihres Sohnes, Walker, nach allgemeiner Vorstellung wundersam erfüllt sein müsste. Ist es aber nicht, wie sie unmissverständlich klarmacht: „Wieder ein Tag vorbei, okay, ich kapier's, ich hab's kapiert: Ich bin vorbei. Mich gibt es nicht mehr.“

Ari lebt mit ihrem Mann, Paul, und dem Einjährigen in einem viktorianischen Holzhaus in einer beschaulichen (sprich stinklangweiligen) und liberalen (solange man nicht zu sehr an der Oberfläche kratzt) Collegestadt nördlich von New York. In diesem Soziotop im Hudson Valley – zwischen Dinnerpartys von Pauls Kollegen, der Mitarbeit in der örtlichen Food-Co-op mit ihren anspruchsvollen Kunden und dem Abhängen in durchgestylten Coffeeshops – hadert sie mit so vielen Dingen. Bei Ari will einfach keine Begeisterung über das Mutterdasein aufkommen, und das müsste es doch, oder? Das Kind ist gesund und quietschfidel, ihr Mann Paul unterstützt sie und ist „exzellent im Bett, in Problemlösung und Logistik“. Doch Aris Tage sind grau, sie ist überfordert, ihr Leben scheint zu Ende.


Gemeinschaftliches Stillen. Nach und nach erfahren die Leser, dass Aris Verzagtheit viel mit dem Kaiserschnitt zu tun hat, zu dem die Hochschwangere von den Ärzten genötigt wurde. So wie der jungen Frau damals ihr Wille genommen wurde, so willenlos ist sie noch immer. Noch dazu meldet sich ihre vor vielen Jahren an Krebs verstorbene Mutter, zu der Ari zeitlebens eine konfliktbeladene Beziehung hatte, in Tagträumen immer wieder aus dem Jenseits zurück – mit bissigen Kommentaren und naseweisen Tipps.

Doch Rettung naht in Gestalt einer neuen Freundin: Mina Morris, einst Musikerin in einer Band, die stilbildend für die punkfeministische Riot-Grrrl-Bewegung war, zieht in der Nachbarschaft ein. Sie ist hochschwanger und kann Unterstützung gebrauchen. Für Ari wird diese Freundschaft zum Rettungsanker– gemeinsam stellen die Frauen erleichtert fest, dass es zu dem in Hochglanzmagazinen und Mütterforen verbreiteten Ideal Alternativen gibt.

Albert, von der zuletzt Storys unter dem Titel „Was ist in dieser Nacht so anders?“ auf Deutsch erschienen sind, arbeitet sich mit einer gehörigen Portion Wut, Humor und Scharfsinn an den Erwartungen ab, die auf Jungmüttern lasten: Da ist nicht nur die so zeitlose wie hochideologische Stillfrage (die beiden Freundinnen halten sich damit nicht lang auf und stillen ihre Kinder gegenseitig), da sind die Formlosigkeit des Körpers nach der Geburt, die Auswirkungen des Jungfamilienalltags auf das Intimleben von Paaren.

Manche Szene in „Einschnitt“ mag aus europäischer Sicht schrill wirken. Doch Aris Stimme ist Teil einer größeren Publikationswelle, die Dilemmata moderner Elternschaft offen und unverblümt anspricht. Bücher wie Maria Svelands „Bitterfotze“ und Sachtitel wie Jennifer Seniors „Himmel und Hölle“ oder Orna Donaths „Wenn Mütter bereuen“ deuten einen „realist turn“ in der Mutterliteratur an. Auch Alberts Buch zeigt rotzig und ergreifend, was für eine private und politische Angelegenheit Kinderkriegen doch ist.

Neu Erschienen

Elisa Albert
„Einschnitt“
Übersetzt von
Miriam Mandelkow
dtv Premium
209 Seiten
16,40 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.