Büchner-Preis für Verse über Quitten und Servietten

Der 45-jährige Jan Wagner schreibt auch viele Essays und übersetzt englische Poesie.
Der 45-jährige Jan Wagner schreibt auch viele Essays und übersetzt englische Poesie. (c) imago/gezett
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Jan Wagner wird als neuer „Naturlyriker“ gelobt und geschmäht. Jetzt erhält er auch noch den bedeutendsten deutschen Literaturpreis, den mit 50.000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preis. Wahr ist: Er liebt es, vom Kleinen auszugehen. Und ist oft beglückend zu lesen. Eine Empfehlung.

Schreibt einer schon Naturlyrik, wenn Unkraut, Koalas oder ein Nebel in seinen Gedichten vorkommen? Jan Wagner, der heuer als einer der jüngsten Autoren bisher den begehrtesten Literaturpreis des deutschen Sprachraums erhält – wie vor ihm etwa Gottfried Benn und Erich Kästner, Heinrich Böll und Friedrich Dürrenmatt, Josef Winkler oder Friederike Mayröcker –, wurde oft als Erneuerer derselben gelobt; oft auch kritisiert. Denn im Etikett „Naturlyrik“ steckt auch der Vorwurf des Eskapismus. Dass sich da einer vor dem eigentlich Relevanten, „Gesellschaft“ und „Politik“, drücke.

Fast scheint es auch, als habe Jan Wagner selbst Freude daran, Leser mit seinen sehr oft Naturphänomene nennenden Gedichttiteln auf diese falsche Fährte zu führen. Oder Gedichtbandtiteln wie zuletzt „Selbstporträt mit Bienenschwarm“, davor etwa „Regentonnenvariationen“ oder „Die Eulenhasser in den Hallenhäusern“. Für manche verdächtig mag auch sein, dass die Gedichte des 45-Jährigen so zugänglich wirken.

Aber wenn Jan Wagner wieder einmal einen seiner vielen „versuche über“ schreibt – etwa Moorochsen oder Silberdisteln –, ist dieses „über“ das der freien musikalischen Variation, die sich von einem kleinen Gegenstand weit fort- und umhertreiben lässt. Dieser Gegenstand kann auch ein Teebeutel oder eine Quittenpastete sein, eine Seife oder Serviette. Die bereits erwähnten Koalas etwa erscheinen plötzlich wie „verlauste buddhas, zäher als das gift, das in den blättern wächst“, im nächsten Moment wie „radrennfahrer kurz vorm etappensieg“. Von einem in die Nase gesteckten Weidenkätzchen schleudert es den Leser in eine Stadt als „flammendes inferno“. Jan Wagner reist als Person wirklich viel, aber es sind nicht diese Reisen, sondern die – bildlich gemeinten – „Reisen im eigenen Vorgarten“, aus denen seine Gedichte entstehen.

Meisterhafte schräge Assoziationen, metaphorisch und sprachlich, zählen dabei zu den Hauptvehikeln. Die Fuchsschwanz-Säge mit ihren kleinen Zacken zum Beispiel führt über Piranhazähne und das (irgendwie) ähnlich klingende Brünnhilde zur zersägten Jungfrau. Wagner nutzt dabei auch den lang verteufelten Reim als kreatives Mittel, aber so „unrein“ wie nur irgendmöglich und vor allem konsonantisch – etwa wenn er „Papier“ zu „Papaya“ gesellt.

Jan Wagner ist kein Avantgarde-Lyriker, er ist einer, der virtuos mit heutigen und einstigen poetischen Möglichkeiten spielt. In seinen besten Gedichten setzt er auf diese Weise beglückende kreative Energien frei. Ob ihn das schon büchnerpreiswürdig macht, darüber lässt sich streiten. Aber vielleicht wollte die Jury heuer auch den Umstand auszeichnen, dass hier einer bei vielen die Lust an der Sprache und der Gattung Gedicht wecken kann. So genau weiß man das nicht, die Jury-Begründung erklärt wie so oft alles und nichts: Von „poetischer Sprachkunst“ ist da die Rede, oder dass Wagners Gedichte „eine Wirklichkeit erschließen, zu der Naturphänomene ebenso gehören wie Kunstwerke, Sujets der Lebens- wie der Weltgeschichte, erste Fragen und letzte Dinge“.

„Das Schöne ist, dass man alles zum Gedicht machen kann“, sagte Jan Wagner nach einer Lesung – und dass man nie wisse, was man morgen schreiben werde. Diese freudige Freiheit überträgt sich beim Lesen. Es ist so wie mit Wagners Servietten: „als kühler origamikranich, oder mit dem stolz von viermastern über die tische kreuzend (. . .) nicht wissend, wozu sie am morgen auferstehen unter den flinken händen der kellnerinnen: wird es ein tänzchen, den belagerten voraus, die schönheit einer kapitulation? der späte trick eines betrunkenen, ein schlüssel, der verschwindet?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2017)

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