Der Astronaut aus Böhmen

Geboren in Prag, wohnhaft in New York: Jaroslav Kalfaˇrs Debüt kreist um die jüngere Geschichte Tschechiens.
Geboren in Prag, wohnhaft in New York: Jaroslav Kalfaˇrs Debüt kreist um die jüngere Geschichte Tschechiens.(c) Grace Leadbeater
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„Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ ist die Überraschung des Spätsommers. Dem tschechisch-amerikanischen Autor Jaroslav Kalfař gelang ein witzig-skurriles Debüt.

Vom staatseigenen Kartoffelacker aus startet die Rakete JanHus1 in das Weltall. An Bord des ersten Raumschiffs der tschechischen Geschichte ist Jakub Procházka, Experte für interstellaren Staub. Der Astrophysiker aus Prag wird zum Helden der Nation und begibt sich 13 lange Wochen auf Weltraummission. Ganz Tschechien verfolgt gespannt, wie Jakub in den Himmel geschossen wird, um den Ruf Tschechiens als Land der Raumfahrer zu begründen.

Dem jungen tschechisch-amerikanischen Autor Jaroslav Kalfař ist mit seinem Debütroman „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ eine wunderbare Sommerüberraschung gelungen. Spannend, unterhaltsam, nie oberflächlich erzählt er die Geschichte von Jakub Procházka, dem Sohn einer Kollaborateursfamilie. Seine Eltern hätten ihm ein Leben in einer Welt gewünscht, die im Sozialismus geeint ist. Doch für Jakub kam es anders – das wird schon im ersten Absatz klar.

Seine Reise in das Weltall ist gleichzeitig eine Reise in die jüngere tschechische Vergangenheit. Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges „drang der Kapitalismus mit seinem Konsumwahn in unser Land ein“. Jakub findet sich aufseiten der Verlierer wieder: da der Vater, der bei der Geheimpolizei war und für die Kommunisten folterte, der bis zuletzt davon überzeugt war, das Richtige getan zu haben; und der Sohn, der erst zu verstehen beginnt, als eines der Opfer seines Vaters vor der Tür steht und das Leben des Sohnes auseinandernimmt. Dazwischen stehen die Großeltern, die ihren Enkel nach dem Tod der Eltern liebevoll großziehen. Geschickt, niemals langweilig, in leichter Sprache mischt Kalfař die Familiengeschichte mit der Historie seiner Heimat.

Blick aus der Ferne. Bei einem Spaziergang durch Prag führt der Autor an einige der Schauplätze seines Romans. Auf dem Hügel Letná etwa, einem Ausflugsziel über der Moldau, zeigt er auf die in der Sommersonne glitzernden Dächer der Stadt seiner Kindheit. Der Blick aus der Ferne auf das Vertraute, das spielt auch in seinem Leben eine große Rolle. Mit 15 Jahren ist er mit seiner Mutter in die USA ausgewandert, er lebt heute im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Kalfař schreibt auf Englisch, im englischsprachigen Raum fand sein Debüt großen Anklang. Mittlerweile ist das Buch in einigen Übersetzungen erschienen, auch auf Tschechisch und zuletzt auf Deutsch. Nach Tschechien kommt er nur auf Besuch, dennoch definiert sich der 28-Jährige als Tscheche.

Einen Roman über Einsamkeit und Isolation habe er schreiben wollen, sagt Kalfař. „Es gibt wohl keinen einsameren Ort, als allein in einer Weltraumkapsel zu sitzen“, meint der Autor. Dann sei man auf das Wesentliche reduziert und müsse sich seiner Vergangenheit stellen. Für Jakub wird es im All sehr, sehr einsam. Als er während seines Weltraumtrips von seiner geliebten Lenka verlassen wird, sieht er zuerst kaum noch einen Grund, mit seiner Mission weiterzumachen. Das Zusammentreffen mit einem skurrilen Weltraumwesen – ein spinnenartiges Tier mit rotem Kussmund und 34 Augen, das sich scheinbar in sein Raumschiff eingeschlichen hat –, hält ihn aufrecht. Die beiden teilen die Liebe zu Nutella – das verbindet. Zuerst fürchtet er dieses Wesen, dann sind seine Unterhaltungen mit Hanuš – wie er das Wesen nennt – das Einzige, das ihn weitermachen lässt.

Auf seinen Unterarm hat Kalfař einen großen, gesichtslosen Raumfahrer tätowiert. „Das Tattoo sollte mich während des Schreibens immer an meine Mission erinnern. Scheitern war somit keine Option, denn dann würde mich meine Tätowierung für immer daran erinnern“, meint der Autor kokett.

Und welches Tattoo werde er sich für sein zweites Buch stechen lassen, an dem er bereits schreibt? Das will er noch nicht verraten, der tschechische Hipster aus Brooklyn.

Neu Erschienen

Jaroslav Kalfař:
„Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“
übersetzt von
Barbara Heller


Tropen-Verlag

368 Seiten
22,70 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2017)

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