"Axolotl Roadkill": Attitüde des arroganten Arschkindes

(c) EPA (Rainer Jensen)
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Das ungestüme Romandebüt von Helene Hegemann wurde in Berlin just an ihrem 18.Geburtstag vorgestellt. Ein nicht nur sprachliches Feuerwerk. Die Massen sind in Berlins legendären Technoclub Tresor gestürmt.

Zu sehen ist sie schlecht, auch kaum zu hören. Die Lesung aus dem in Deutschland derzeit wohl meistdiskutierten Roman „Axolotl Roadkill“, der am Wochenende in Berlin vorgestellt wurde, dauert bloß eine Viertelstunde. Helene Hegemann, die junge Autorin, gibt gemeinsam mit ihrer Freundin Laura nur eine kleine Kostprobe. Die Mikrofone quietschen, während die Mehrheit der rund 1000 Gäste ungeniert quatscht. Und die Autorin wird leider nicht mittels Podium erhöht.

Es ist wahrlich ein ungewöhnlicher Ort für eine Buchpräsentation: Die Massen sind in Berlins legendären Technoclub Tresor gestürmt, der früher einmal im richtigen Tresorraum eines Kaufhauses, jetzt im Keller eines stillgelegten Kraftwerks pulsiert. Trotz mühsamer Prozeduren beim Einlass haben sie sich geduldig durch das Nadelöhr gezwängt. Kaum einer hier hat das Buch schon gelesen, dafür umso mehr darüber. Noch vor der offiziellen Buchpremiere war Hegemann mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert, heftig wurde über ihr Alter – sie feiert genau an diesem Abend ihren 18.Geburtstag –, ihr Wesen (scheu), sogar ihre Frisur diskutiert. Nebenbei auch über den Roman selbst, ein sprachgewaltiges Feuerwerk rund um den Verlust der Mutter (der die Autorin als 13-Jährige traf), Pubertät, Drogen, Sex.

Plagiat – so what?!

Ein jugendliches Potpourri, das zugleich unheimlich reif wirkt. Bei der fiktiven Figur der 16-jährigen Mifti spürt man immer die reale Helene durch, beim Vater denkt man an Carl Hegemann, den berühmten ehemaligen Volksbühne-Dramaturgen. Aber hat die junge Autorin, die sich in der „Attitüde des arroganten Arschkindes“ gefällt, das wirklich alles schon selbst erlebt? War sie tatsächlich im berühmt-berüchtigten Berliner Club Berghain, der für seine rigiden Türsteher bekannt ist und angeblich keinen unter 21 hineinlässt?

Die Plagiatsvorwürfe werden von Ullstein-Geschäftsführerin Siv Bublitz schnell vom (nicht vorhandenen) Tisch gewischt. Sie verteidigt das Recht auf „freie Benutzung“ von Quellen, das es einem Künstler erlaube, diese „auch ungenannt zu verwenden, wenn er daraus Neues und Eigenständiges schafft“. Dennoch ist der vierten Auflage von „Axolotl Roadkill“, die seit gestern ausgeliefert wird, ein neues, fünfseitiges Quellenverzeichnis angefügt. So könne sich nun jeder Leser selbst ein Urteil darüber bilden, ob die Aufregung angemessen sei.

Bei der Buchpräsentation sind Fragen nicht vorgesehen. Andernorts hat sich Hegemann bereits entschuldigt: Es sei „total gedankenlos und egoistisch“ gewesen, nicht von vornherein alle Menschen erwähnt zu haben, „deren Gedanken und Texte mir geholfen haben“. Dazu zählen unter anderem der Autor Airen mit seinem Blogger-Berlinroman „Strobo“, der ab Herbst ebenfalls bei Ullstein erscheinen soll, Texte von Jim Jarmusch, David Foster Wallace etc.

Der Verlag, der die detaillierten Quellenangaben auch auf seiner Website veröffentlicht hat (www.ullsteinbuchverlage.de), wünscht sich nun, so die fast flehentlichen Worte der Geschäftsführerin, dass die Aufmerksamkeit von den Plagiatsvorwürfen wieder auf den Roman übergeht. Der Abend im Tresor steht jedenfalls unter dem Motto „Keine Diskussion“. Auch Hegemanns Devise „Berlin is here to mix everything with everything“ bewahrheitet sich hier nicht.

Der nachtaktive Schwanzlurch

Zumindest mischt sich nicht everyone mit everyone, denn die Autorin verschanzt sich mit ihren Freunden und der Musikanlage hinter raumhohen Gitterstäben. Der Türsteher ist mindestens so streng wie jener im Berghain: „Da dürfen Sie nicht rein, Helene will ihren Geburtstag feiern.“ Zum Glück ist die Torte mit der riesigen Axolotlverzierung nicht im „Käfig“ eingesperrt, sondern für jedermann zugänglich: ein „nachtaktiver mexikanischer Schwanzlurch aus der Familie der Querzahnmolche“ – Marzipan pur.

Als nachtaktiv erweisen sich dann auch die jüngeren Gäste, während die fortgeschrittenen Interessenten, vorwiegend aus der Buchbranche, allmählich aus den dunklen Gängen vor der lauten Musik fliehen. Was bleibt, ist die Stimmung eines Kindergeburtstags. Halt für die Größeren, die auch schon Zigaretten und Alkohol „dürfen“. Bunte Luftballons, Geschenke und ausgelassenes Gehopse. Und für kurze Zeit hatte Helenes „Anstandswauwau“ seinen Schützling sogar an der Hand durch die Menge geführt. Zum Signiertisch, an dem sich die Autorin dann im persönlichen Kontakt auch mal ein Lächeln abringt.

Plagiat adelt Vorlage

Der Blogger-Roman „Strobo“, aus dem Hegemann einige Passagen übernommen hat, ist bei einem kleinen Verlag namens „Sukultur“ erschienen. Nun wird ihn der Ullstein-Verlag – bei dem auch „Axolotl Roadkill“ erschienen ist – herausbringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2010)

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