Hilde Spiel: "Wie du schreibt niemand mehr"

Hilde Spiel schreibt niemand
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Hilde Spiel berichtete für die FAZ bis in die späten 1980er-Jahre aus Wien und von den Salzburger Festspielen. Zum Abschied wünschte sich die große Kulturkritikerin nichts, was in Worte zu fassen wäre.

Hilde Spiel – nächstes Jahr hätte sie den 100. Geburtstag! Studenten der Theaterwissenschaft ist sie ein Begriff, erst recht den um einiges älteren Intellektuellen, die ihre kulturpolitischen Glossen, Theater-, Konzert- und Opernrezensionen in der FAZ geschätzt haben, betreffend Wien und die Salzburger Festspiele – mit hoher Disziplin hat sie ja dieses Amtes noch in den späten 1980er-Jahren gewaltet.

In der Wiener Kulturwelt war sie auch wegen ihres selbstbewussten Auftretens eine Figur, und ihr Charme und Witz, ihr Sinn für freiwillige Komik hatten es vielen jüngeren Künstlern diverser Sparten angetan... Ihre autobiografische Erzählung „Heimkehr nach Wien“, nämlich aus dem Londoner Exil fürs Erste in britischer Uniform, hat viele berührende Momente, wie viel später ihre gleichfalls unprätentiös geschriebenen Memoiren („Welche Welt ist meine Welt“).

In den 1980er-Jahren ist ihr mit der Wiener Kulturgeschichte „Vienna's Golden Autumn“ etwas ganz Besonderes gelungen, so schwungvoll und unerschrocken geschrieben, wie es kein Fachmann wagen würde oder zustande brächte: Universell war sie gebildet und ihr Stil so charmant wie sie. In den 1950er-Jahren wäre sie eine „Salonkommunistin“ gewesen? Doch eher zeitlebens „monarchistisch“ angehaucht (als ein Mäderl hat sie das Begräbnis des Kaisers noch miterlebt, ihr Vater hatte es in der k.u.k.-Armee zum Offizier gebracht).


Auch Romanautorin. Zu ihrem Kummer ist sie ihres Erachtens nur als eine Essayistin geschätzt worden, obwohl sie doch auch neben Erzählungen Romane publiziert hat, deren einer, in der Zeit der Emigration aus Heimweh nach Österreich geschrieben, zart „historisch“ anmutet: Er enthält den Ringtheaterbrand. Claus Peymann hat im Vestibül des Burgtheaters ihr aus einer Erzählung hervorgegangenes Dramulett „Anna und Anna“ in prominenter Besetzung aufführen lassen, wohl auch wegen der am Beispiel Burgtheater genau recherchierten NS-Kulturpolitik (es gibt davon eine fürs Fernsehen adaptierte Version, die zu ihrem Hundertsten wieder einmal ausgestrahlt werden sollte), nach der Premiere hatte auch Hilde Spiel den Laufsteg zu betreten, hat mit einem reizenden Knicks gedankt . . .

Dass sie nicht die Schriftstellerin geworden ist, die sie in sich gehabt hätte, das sei den Zeitläuften angelastet. Sie war eine vielbegehrte Diskutantin, hofiert von ÖVP und SPÖ, auch im Club2: Pointiert hat sie sich kurz gefasst, während manch anderer für einen halben Gedanken viele Sätze benötigt hat. Und das Deutsch, das sie gesprochen hat, war vom reichsdeutschen und vom österreichischen Deutsch gleich weit entfernt!

Als eine gewissenhafte Theaterrezensentin hat sie sich bei den Proben die ersten Notizen gemacht nach gründlicher Beschäftigung mit dem jeweiligen Stück, hatte ja am Morgen nach der Premiere ihren Text nach Frankfurt, an die FAZ, „durchzutelefonieren“, und geradezu skrupelhaft war sie als eine Übersetzerin aus dem Englischen, obwohl das Englische längst ihre zweite Muttersprache geworden war: Im Übersetzen Tom Stoppards Theaterstücken hat sie in ihren Englisch-Deutschen-Wälzern so gut wie jedes Substantiv, Adjektiv und Verb nachgeschlagen – es könnte ihr ja eine hyperpoetische Bedeutung entgangen sein. Oder ihr Gezauder vor adäquater Übertragung eines der Jugendwerke eines hochberühmten Dichters: „Bilde ich diese reizvollen sprachlichen Unzulänglichkeiten nach, in denen sich seine spätere Manier ankündigt, so riskiere ich das Urteil, die Übersetzung sei schwerfällig!“


Kompliment von Bernhard. „Wie du schreibst, so schreibt niemand mehr!“ – dieses prekäre Kompliment ihres Freundes Thomas Bernhard hat ihr unwiderstehliches Lachen entlockt, und es dürfte Marcel Reich-Ranicki gewesen sein, der der von ihm aufgrund ihrer tief weiblichen Ausstrahlung und ihrer von Schwermut getragenen Leichtlebigkeit Verehrten ins Gesicht gesagt hat, sie sei ein „Fossil“ – dieser wie jener wollte damit sagen, dass Hilde Spiel, eine Meisterin des Feuilletons, einer so gut wie ausgestorbenen literarischen Gattung, als eine Kosmopolitin den geistigen, den humanistischen Werten verpflichtet geblieben ist, die mit der Welt von (vor)gestern in den 1930er-Jahren hinweggerafft worden sind. . .

Bei Charlotte Bühler hat sie studiert, bei Moritz Schlick, geprägt vom Wiener Kreis aller „aprioristischen Philosophie“ abgeneigt, also aller Metaphysik. Eine Agnostikerin, die Äquidistanz zum Judentum und Christentum gewahrt hat, gar nicht erfreut, wenn sie (schließlich hat die jüdische Thematik in ihrem Werk keinerlei Bedeutung gehabt) als eine „jüdische Schriftstellerin“ reklamiert wurde – „Gelten noch die Nürnberger Gesetze?“

Mit wem nicht allem an Größen sie befreundet war; wer da nicht aller in ihrem Haus im Salzkammergut zu Besuch war, angefangen von Canetti, wenn es ihr schon verwehrt war, in Wien einen Salon zu führen wie adelige Damen hingegangener Zeiten, das bekäme sie nun gern zu hören, wohl lieber, als dass sie einem Doderer mit einem erhellenden Essay zu seinem Durchbruch verholfen hat wie Jahre später einer Inge Merkel – aber sie ließe sich von mir auch gern daran erinnern, mit wie sparsamen Bewegungen sie das Lernet-Sportboot Alexander Holenias gerudert hat.

Oder daran, dass sie, eine junonische Erscheinung, in jederlei Gesellschaft und zu jedem Anlass stimmig gekleidet war wie kaum eine andere. Oder dass sie dank ihrem charaktervollem Gesicht wohl einen jeden, der sie nicht kannte, sie einzuschätzen veranlasst hat: Ist das eine Künstlerin, welcher Sparte auch immer, oder eine Geisteswissenschaftlerin?

Mein Enthusiasmus möge sie verjüngt haben in ihren späteren Jahren, und meinen Dank für die sieben Sommer und Winterferien in ihrem Salzkammerguthaus habe ich ihr erst mit einem Gedenkbuch abgestattet, als sie nicht mehr ins Ätherische verfeinert war – „Was du mir wünschen sollst, kannst du mir in Worten nicht wünschen, also geh jetzt – alles Gute für Tirol!“ (Das war der Abschied von ihr für immer.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

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