Von „innerlichen Nazis“

Vergleiche mit der NS-Zeit sind selten treffend– aber sie treffen oft. Selbst, wenn sie als Satire vorkommen.

NS-Ideologe Alfred Rosenberg hat in seinem Buch „Der Mythus des 20.Jahrhunderts“ den „Individualismus“ für die Erosion traditioneller Familienwerte verantwortlich gemacht. Eva Herman tat das auch – wie viele vor und nach Rosenberg: Ist ihr Denken deswegen nationalsozialistisch angehaucht? Sie bezeichnete in der „Kerner“-Show die Medien als „gleichgeschaltet“ – ein Wort, das man in allen Zeitungen lesen kann, egal ob links oder rechts. Dennoch wurde es ihr zum Vorwurf gemacht – es sei ein NS-Begriff.

Solche interpretatorischen Kurzschlüsse würden einem Studenten der Geisteswissenschaften wohl ein Nicht genügend einbringen. Im öffentlichen Diskurs sind sie trotzdem gang und gäbe – in Deutschland nicht anders als in Österreich. Und das haben in jüngster Zeit auch klügere Köpfe als Eva Herman zu spüren bekommen. Als der deutsche Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin vor einem halben Jahr in einem Interview sagte, eine große Anzahl von Arabern und Türken in Berlin habe keine produktive Funktion außer für den Obst-und Gemüsehandel und „produziere kleine Kopftuchmädchen“, sagte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer: „Ich habe den Eindruck, dass Sarrazin mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler große Ehre erweist. Er steht in geistiger Reihe mit den Herren.“ Sarrazins Worte erinnerten an die Untermenschen-Terminologie der Nazis.

Auch dem deutschen Bahn-Chef Hartmut Mehdorn wurde vor zwei Jahren NS-Affinität unterstellt. Der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Michael Szentei-Heise, bezeichnete ihn als „innerlichen Nazi“ und „Führer der Reichsbahn“, weil die Bahn eine Schau über die Deportationen von jüdischen Kindern durch die Reichsbahn finanziell nicht unterstützte.

So leichtfertig oft Vergleiche zwischen heutigen Menschen und Nazis angestellt werden, so tabubeladen ist die Assoziation gegenwärtiger Entwicklungen mit der Judenverfolgung. 2008 verglich der Vorsitzende des Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, in einem Artikel „Die neuen Juden Europas“ die Lage der türkischen Migranten in Deutschland mit der Situation der Juden im Dritten Reich. Auch die Türken würden heute diskriminiert und ausgeschlossen. Sen musste wegen dieser Äußerung sein Amt abgeben.

„Einst traf es die Juden, heute Manager“

Heftig kritisiert wurde auch der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn, als er in einem Interview über die Wirtschaftskrise sagte: „In jeder Krise wird nach Schuldigen gesucht, nach Sündenböcken.“ In der Weltwirtschaftskrise von 1929 „hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager“. Ganz zu schweigen vom soeben zurückgetretenen Bischof Walter Mixa, dessen Vergleich der Abtreibung mit dem Holocaust landesweit Empörung auslöste.

Ob man andere mit Nazis oder sich selbst mit verfolgten Juden vergleicht – in jedem Fall sind Vergleiche mit der NS-Zeit so heikel, dass sie fast immer danebengehen. Das kann selbst einem Satiriker zum Verhängnis werden, der berufshalber zur Übertreibung befugt ist. Schauspieler Michael Lerchenberg verkündete als Fastenprediger beim Starkbierfest am Münchener Nockherberg, FDP-Chef Guido Westerwelle wolle nun alle Hartz-IV-Empfänger bei Wasser und Brot in einem Lager in Ostdeutschland sammeln. „Drumrum ein Stacheldraht – haben wir schon mal gehabt...und überm Eingang, bewacht von jungliberalen Ichlingen im Gelbhemd, steht in eisernen Lettern: ,Leistung muss sich wieder lohnen.‘“ Eine Anspielung an „Arbeit macht frei“ am Tor von Auschwitz? Lerchenberg trat jedenfalls als Fastenprediger zurück.

Dabei verletzen derlei Anspielungen höchstens den guten Geschmack. Kampagnen wie jene gegen Eva Herman oder Günter Grass, der wegen seiner jugendlichen SS-Episode international zum Ex-Nazi abgestempelt wurde, beschädigen Menschen – denn ganz gleich, wie unberechtigt die Vorwürfe sind: Etwas bleibt immer hängen. sim

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2010)

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