Rabinovici: "Waldheim machte mich zum Österreicher"

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Doron Rabinovici ist mit seinem Roman „Andernorts“ Kandidat für den Deutschen Buchpreis. Ein Gespräch über Heimat, Wahrheit, lächerliche Rituale, Siegfried Unseld und Thilo Sarrazin.

Die Presse: Waren Sie überrascht von der Nominierung auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises für Ihren Roman „Andernorts“?

Doron Rabinovici: Gar nicht. Ich war einfach nur sehr froh. Mir wird eigentlich nur gratuliert, auch von Kollegen, die jetzt ein Buch auf den Markt gebracht haben.

Sind Sie jetzt ein stolzer Suhrkamp-Autor?

So würde ich das nicht sagen. Ich finde es nicht richtig, stolz zu sein auf andere. Aber es ist schön, in einem Verlag zu sein, für dessen Programm ich mich nicht schämen muss. Ich habe das zum Beispiel erlebt, als Siegfried Unseld mich als jungen Autor zu sich eingeladen und plötzlich gesagt hat: „Gehen wir in den Keller.“ Da stand dann hinter rollenden Bibliothekswänden der gesamte Suhrkamp-Bestand. Unseld zeigte mir Adorno und Brecht und Frisch – dann ging er weiter, sagte: „Und hier, dieses schmale Bändchen, das ist Rabinovici.“ Das war sehr beeindruckend.

In „Andernorts“ wird Heimat einmal als Ort definiert, wo einem fremder zumute ist als an jedem anderen Ort. Wo fühlen Sie sich fremder: in Israel oder in Österreich?

Im Deutschen gibt es das Wort „eigen“, das mich beeindruckt. Wenn ich sage, das ist mir ganz eigen, heißt das zweierlei. Auf unterschiedliche Art stimmt das für beide Länder. Wenn mich etwas beschämt, dann ist das vielleicht eine Definition von Heimat. Das geht in Israel vielleicht tiefer. Ein Gefühl, das ich gar nicht gut finde, weil ich nicht finde, dass ich mich für irgendetwas schämen sollte. Ich bin, etwa wenn es um die österreichische Vergangenheit geht, vielleicht empört, aber ich fühle mich nicht beschämt. Anders ist es, wenn es darum geht, dass ich zur weißen Mehrheit hier gehöre, wenn ich von Übergriffen auf Menschen aus anderen Kontinenten höre. Dann gehöre ich ja eigentlich zu der Gesellschaft, welche die Übergriffe zu verantworten hat.

Aber zur weißen Mehrheit gehören Sie doch auch in Israel.

Trotzdem, in Bezug auf Übergriffe glaube ich– aus israelischer Warte –, dass ich mehr empfinde, dass das mit mir zu tun hat. Obwohl es in Wirklichkeit auch nichts mit mir zu tun hat. In Bezug auf die österreichische Geschichte hingegen gehöre ich als Jude, obwohl ich österreichischer Staatsbürger bin, nicht zu dem Kollektiv, das in den Massenmord an den Juden involviert ist.

Liest man Ihr Buch, bekommt man den Eindruck, Sie haben an Israels Politik fast so viel auszusetzen wie an der österreichischen.

Dazu muss ich sagen, dass mich Waldheim wirklich zum Österreicher gemacht hat. Ich war vorher primär an östlicher Politik interessiert. Ich war im Februar 1986 als jüngster Volldelegierter zum World Jewish Congress in Jerusalem eingeladen, ich hatte keine Ahnung davon, dass damals bereits von Waldheim gesprochen wurde. Ich habe dort über zwei Themen diskutiert: über Frieden in Nahost und über die Frage, wie man damit global umgeht. Die Auseinandersetzung mit Waldheim hat mir auf paradoxe Art eine Heimat gegeben, und so gesehen stimmt der Satz aus meinem Buch auch für mich, nämlich aus dem Grund, weil viele von uns heute Heimat als etwas erleben, was uns nicht nahe ist.

Interessant ist im Buch eine Meinung über Kontext: dass man in einer bestimmten Situation etwas sagen kann, was in einer anderen nicht stimmt.

Es ist ja so, dass derselbe Kommentar in der „Haaretz“ eine andere Wirkung entwickelt als etwa in der „Presse“. So habe ich es etwa erlebt, dass ich während Schwarz-Blau in den USA von Studenten angesprochen worden bin, wie ich mich fühle unter einer rechtsextremen Regierung. Ich habe gesagt: Erstens ist Österreich immer noch eine Demokratie, und wie man sich unter Rechtsextremen regiert fühlt, das müssten Sie doch eigentlich am besten wissen. Daraufhin gingen sofort zwei Studenten aus dem Saal. Man kann also mit der Wahrheit wirklich lügen. Es gibt zwar vielleicht nicht die eine Wahrheit, aber es gibt die eine Lüge, die eine und die andere.

In Ihrem Buch lassen Sie ja fixe Identitäten bewusst zur Illusion werden. Niemand ist der, der er zu sein scheint. Wollten Sie so auch die Rassenlehre der Nazis ad absurdum führen?

Ich würde sagen: den rassistischen Diskurs, auch der Nazis, aber auch anderer. Etwa in der Debatte um Thilo Sarrazins Thesen. Man könnte sagen, dass mein Buch eine Antwort auf solche Diskurse ist. Ich sage nicht, dass es keine Identität gibt, meine Geschichte will nur die Art zeigen, wie sie konstruiert wird und wie man ihr mit Gentests nicht beikommt.

Wie sollen sich Einwanderer verhalten? Sich integrieren, wie viele Juden das getan haben, oder sollte man seine ursprüngliche Kultur behalten, eine Parallelgesellschaft bilden?

Ich würde schon bezweifeln, dass es die ursprüngliche Kultur da oder dort gibt. Ich kenne aus der Türkei stammende Österreicher, die mehr mit der deutschen Sprache vertraut sind als mancher Österreicher, der sich sehr verwurzelt fühlt. Was soll ich einem solchen Menschen sagen, wie er sich assimilieren soll? Die jüdische Erfahrung sagt, dass die Assimilation gerade in Wien und in Deutschland nichts genutzt hat, dass ganz im Gegenteil der Antisemitismus den „Assimilanten“ – man hätte ja auch den Assimilierten sagen können – geschadet hat. Die waren verhasster als die Orthodoxen bei den Rassisten. Die verschmutzen ja den „Volkskörper“ und zersetzen ihn.

Es ist niemand davor gefeit, einen unmöglichen Satz von sich zu geben. Gibt es Sätze, die Sie lieber nicht gesagt hätten?

Ja. Es gibt solche Witze, von denen ich heute sagen würde, dass sie zu weit gegangen sind. Manche Sätze von mir wurden aber auch verkürzt zitiert. Da muss ich sagen: Zur Verkürzung stehe ich nicht, zu meiner Version aber schon.

Im Buch kommt auch der Judaskuss vor. Welche Beziehung haben Sie zum Christentum?

Mich interessieren Religionen, ich halte sie für wichtig, obwohl ich ein nichtgläubiger Mensch bin. Trotzdem feiere ich die jüdischen Feste. Rituale sind Symbole für Lebensformen. Sie helfen uns z.B., den Tod eines Menschen zu überwinden, je nach Religion auf verschiedene Art. Das prägt uns.

Gibt es Rituale, die Ihnen fremd oder gar lächerlich vorkommen?

Für mich war die Erkenntnis merkwürdig, dass im Katholizismus wirklich geglaubt wird, dass es eine Wandlung gibt. Durchaus nicht unlustig ist es zu sehen, welche Formen der Kasteiung es gibt, etwa das Zusammennähen der Zähne beim Fasten. Und dann wird beim Fastenmahl zuweilen das Dreifache von dem serviert, was ich an einem Abend essen kann. Solche drolligen Sachen gibt es aber in jeder Religion. Da kommt man doch rasch in ein Minenfeld. Als es um den Karikaturenstreit ging, hat der iranische Präsident zu einem antisemitischen Karikaturenwettbewerb aufgerufen – mit sehr schlechten Witzen. Eine israelische Website reagierte darauf und erklärte, das können wir besser! Wir sind auch im Antisemitismus lustiger. Daraufhin haben israelische Araber auch Karikaturen eingesandt, antimuslimische. Darauf sagten die jüdisch-israelischen Karikaturisten, das gehe nicht. Wir sind die Website für jüdische antisemitische Zeichnungen, wenn ihr arabische antiarabische Karikaturen machen wollt, braucht ihr eine eigene Website. Das hat einen gewissen Charme. Jeder lacht über sich selbst am besten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2010)

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