Zoran Drvenkar: Die Verbrechen der Väter

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Dem Berliner Zoran Drvenkar gelingt mit seinem 528 Seiten starken Thriller "Du" nicht nur ein spannendes Stück, sondern ein neues Thriller-Format. In der Beschreibung junger Opfer (und Täter) trifft er den Ton.

Es gibt viele Bücher, die auf den ersten Blick sympathischer wirken: Schon auf dem Coverbild des Thrillers „Du“ verkündet ein diabolischer Anzugträger mit geschlossenen Augen Unheil. Es gibt auch viele Bücher, die sich auf den ersten Seiten angenehmer lesen: Dass der Leser in der zweiten Person Singular angesprochen wird, erinnert zu Anfang ein wenig an den letzten Ikea-Besuch. Und es gibt auch viele Autoren, die auf den ersten Blick gewinnender wären: Zoran Drvenkars Pferdeschwanz und Nickelbrille erhärten den schon zuvor gehegten Verdacht, dass es sich bei „Du“ um einen jener Krimis handelt, die eine kleine Fangemeinde begeistern – die stolz und froh ist, wenn ihr Geheimtipp ein solcher bleibt.

Doch das sind Fehleinschätzungen: Einmal die ersten Seiten überwunden, findet man sich in einem formal völlig neuen, inhaltlich extrem dichten Text und einer schnellen, harten und guten Geschichte wieder. Drvenkar führt drei Erzählstränge genial zusammen. Da wäre einmal ein gefühlloser Massenmörder, der durch die Lande und sein eigenes bürgerliches Leben reist, um regelmäßig die Bewohner ganzer Dörfer beziehungsweise die Fahrgäste ganzer Staukolonnen zu töten.

Dann gibt es da einen kleinen Familienclan aus Berlin, dessen Mitglieder – Vater, Sohn und, später, Bruder – nicht nur in einem nicht ganz einfachen Verhältnis zueinander stehen, sondern auch mehr oder weniger ausgeprägte kriminelle Energien haben. Und dann wäre da noch der „Club der süßen Schlampen“ wie Drvenkar fünf Teenager-Freundinnen nennt. Sie sind frech, selbstbewusst, offenbar gut aussehend und einander in fast altmodischer Hanni-und-Nanni-Treue verbunden. In den Szenen der Mädchen, die immer wieder eine der ihren verlieren, liegt die eigentliche Stärke des Buches und Drvenkars wahre Kunst.

Der gebürtige Kroate, der in Berlin Charlottenburg aufgewachsen ist und seit seiner Jugend schreibt, wurde mit Jugendbüchern bekannt – etwa unter dem Pseudonym „Victor Caspak & Yves Lanois“ mit „Die Kurzhosengang“, für das er 2005 den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt.


Kindlich und zerbrechlich. Drvenkar schildert die Wünsche, den Humor, aber vor allem die Ängste der jungen Frauen in einem beiläufigen und wohl ziemlich authentischen Ton, der vor allem von normalen Interessen – also: Jungs – geprägt ist. Dabei wirken die fünf Charaktere, die wegen eines gefundenen Sacks Heroin und eines Mords im Affekt von Berlin bis nach Norwegen gejagt werden, unglaublich zerbrechlich und kindlich.

Dazwischen passiert eine ganze Reihe unschöner Begegnungen, romantische Momente gibt es seltener, dafür viele Verletzungen und Gewaltausbrüche. Drvenkar meinte einmal in einem Interview: „Kinder haben eigentlich immer ein rebellisches Herz, das ihnen all zu oft gebrochen wird. Ein Kind ohne rebellisches Herz ist wie ein Kopf ohne Gedanken.“

Fast alle Figuren in „Du“ eint ein Problem, ein nicht bewältigtes Thema: die Beziehung zu den eigenen Eltern, vor allem die zum Vater. Da kommt es im Finale des Thrillers, in dem alle überlebenden Figuren aufeinandertreffen, noch zu einigen hässlichen Enthüllungen. Vor allem aber zum endgültigen Showdown.

Mit seinem letzten Thriller „Sorry“ gewann der Autor heuer die wichtigste deutsche Genreauszeichnung, den Friedrich-Glauser-Preis. Über seine Bücher und Figuren wie in „Sorry“, in dem er bereits Zugänge wagte, die er in „Du“ flächendeckend einsetzt, sagt Drvenkar: „Ich erzähle von den Charakteren, die mich interessieren. Ich habe keine Idee, woher die Charaktere kommen. Ich bin wie ein Hotel. Meine Charaktere tauchen auf, belegen eine Suite und wollen, dass ich ihre Geschichten schreibe. Mit den Jahren habe ich entdeckt, dass ich Kinder und Jugendliche spannender finde als Erwachsene. Sie haben mehr Humor, sind verrückter, grausamer und haben noch so viel vor sich, dass man die Spannung in jedem ihrer Atemzüge spüren kann. Auch wenn ich keine Kinder habe und keine haben will, lassen mich die Seelen der Kinder nicht in Ruhe.“ Man wird noch viel von dem Berliner Kroaten hören und lesen.

Zoran Drvenkar

Du
Ullstein Verlag
528 Seiten
20,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2010)

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