Elmiger: Das richtige Schreiben begann weit weg von allem im Trailer

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Die Schweizer Autorin Dorothee Elmiger hat mit ihrem ersten Roman "Einladung an die Waghalsigen" reüssiert. Ein Gespräch mit der "Presse" über Literatur als Befreiung und über die Gefahr, gefällig zu sein.

Die Presse: Sie haben den Rauriser Literaturpreis gewonnen. Das ist bereits die dritte Auszeichnung für Ihre Prosa „Einladung an die Waghalsigen“ (DuMont, 2010). Wie sehr baut das auf, wie sehr ist es eine Belastung für einen 1985 geborenen Twen?

Dorothee Elmiger: Mir sind die Kollegen freundlich und wohlwollend begegnet. Dieser Preis hier ist für mich eine Bestätigung, das beseitigt aber nicht alle meine Zweifel. Durch Lob und Kritik entsteht ein seltsames Spannungsverhältnis.

Zu welcher Art der hier präsentierten Literatur fühlen Sie sich hingezogen?

Ludwig Lahers Lesung aus dem Buch „Verfahren“ (Haymon) hat mich beeindruckt. Auch den Text von Marie-Thérèse Kerschbaumer, die aus „Der Schwimmer“ (Wieser) vortrug, fand ich sprachlich toll. Im Gepäck habe ich noch einen Roman von Alois Hotschnig. Das Gespräch mit ihm war sehr schön.

Wie ist Ihr Erstlingswerk entstanden?

Ich habe drei Jahre daran gearbeitet. Einen Plot hatte ich nicht, aber eine Grundsituation über ein ehemaliges Bergbaugebiet, in dem unterirdisch ein nicht zu löschendes Feuer brennt. Von so einem verlorenen Ort, an den sich zwei Protagonistinnen begeben, den sie erforschen wollen, wird erzählt.

Ist die Lust am Untergang typisch für Texte Ihrer Generation?

Das fände ich eher ein bisschen gefährlich. Mein Buch wurde als postapokalyptisch bezeichnet, es verharrt aber nicht in der endlosen Beschreibung einer desolaten Gegend. Die zwei brechen doch auf.

Sie leben in Berlin. Wie idyllisch sehen Sie von dort Ihre Heimat? Appenzell Innerrhoden hat eine schöne Landschaft, doch das kantonale Frauenwahlrecht wurde erst 1990 eingeführt.

Es ist ein Ort, an dem ich gut arbeiten kann, aber Ihr Beispiel zeigt, dass es dort auch Dinge gibt, die nicht im Lot sind. Sie beschäftigen mich schon und tauchen in mehreren Texten von mir auf.

Wer hat Sie zum Schreiben ermuntert?

Meine Mutter hat eine Affinität zur Sprache, sie schreibt auch, für sich, aber dazu hat sie mich nie angehalten. Ich habe von selbst immer gerne geschrieben. Das entwickelte sich vom Drauflosschreiben im Tagebuch zur ernsten Arbeit an Texten. Mit 15 war ich für ein Jahr zum Schüleraustausch in den USA. Ich habe bei einer strengreligiösen Familie in einem Trailer gelebt, weit weg von allem. Es gab weder Internet noch Fernsehen. Da hatte ich auf einmal viel Zeit und begann, richtig zu schreiben. Weil es auf Deutsch war, konnten es meine Gastgeber nicht kontrollieren. Sonst haben sie sehr genau beäugt, was ich so lese. Dieses Schreiben war für mich also ein wichtiger Moment der Befreiung. Später habe ich dann an einem Literaturinstitut studiert, in Biel.

Welche Bücher und welchen Stil haben Sie dort schätzen gelernt?

Vorbilder zu nennen ist schwierig, das ist mir zu grundsätzlich. Mir fallen immer neue Autoren ein. Ich lese kreuz und quer, weniger aber Romane, die sich an einem Plot orientieren. Elfriede Jelinek finde ich spannend, oder W.G. Sebald.

Durchs Schreiben riskiert man seine Unbefangenheit als Leser. Haben Sie diese Unschuld verloren?

Wahrscheinlich stimmt das schon; ich lese sehr viel und kann bei der Lektüre sogar auch noch in diese Werke versinken. Aber meine Ansprüche an die eigenen Texte werden höher, ich will präziser werden. Dabei arbeite ich langsam, Satz für Satz. Da besteht dann wieder die Gefahr, dass der weiße Raum zu groß wird, die Lücken für die anderen Leser. Neuerdings gehe ich strenger mit fremden Arbeiten um, auf die ich mich früher leichter eingelassen habe.

Welchen Anspruch stellen Sie an sich? Schreiben Sie für die Nachwelt? Und wie sieht Ihr idealer Leser aus?

Ich weiß nicht, ob ich zeitlos schreibe. Das wäre eine sehr eitle Idee. Mir ist es wichtig, mich mit dem Jetzt zu beschäftigen. Bei diesem Buch waren meine Freunde die Leser. Die sind immer die kritischsten. Ich wollte ihnen aber beim Schreiben nicht gefallen, sondern fasste das Verfassen des Buches als eine Art Gespräch auf. Gefälligkeit wäre sehr gefährlich.

Zur Person

Dorothee Elmiger wurde 1985 in Wetzikon in der Schweiz geboren. Sie wuchs in Appenzell-Innerrhoden auf und lebt jetzt in Berlin, wo sie Politikwissenschaft studiert.

Debüt-Roman: 2010 las Elmiger aus dem Manuskript „Einladung an die Waghalsigen“ bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt und gewann den Kelag-Preis. Sie erhielt dafür auch den „Aspekte“- und nun den Rauriser Literaturpreis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2011)

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