Mein Lieblings-Hemingway ...

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Am Samstag war es 50 Jahre her, dass sich Ernest Hemingway erschossen hat. Literaturexperten verraten ihr liebstes Werk und ob sie den Nobelpreisträger noch für relevant halten.

Er war Symbol für exzessive Lebensfreude, Frauenheld und literarischer Erneuerer. Doch Depressionen und Alkohol begleiteten den Schriftsteller Ernest Hemingway. Für die melancholisch-existentialistische Novelle "Der alte Mann und das Meer" erhielt er 1953 den Pulitzer-Preis, 1954 den Nobelpreis für Literatur. Im Morgengrauen des 2. Juli 1961 erschoss sich der Autor in seinem Haus in Ketchum, Idaho.

Was bleibt 50 Jahre nach dem Tod des charismatischen Großschriftstellers? Fünf Literaturexperten klopfen Hemingways Werk auf seine heutige Relevanz ab und verraten, welches ihr Lieblingswerk von Hemingway ist.

Wynfrid Kriegleder, Professor am Institut für Germanistik an der Universität Wien

Auf die Frage nach dem Lieblings-Hemingway sollte man wahrscheinlich "The Old Man and the Sea" antworten, die existentialistische Parabel mit der heroischen Botschaft „A man can be destroyed but not defeated". Mein Lieblings-Hemingway ist aber "A Farewell to Arms", auf Deutsch "In einem anderen Land" - auch wegen der schönen und traurigen Liebesgeschichte.

Dass Hemingway als Macho gilt, ist Teil seiner Selbstinszenierung. Seine literarischen männlichen Figuren sind aufgund ihrer (historisch bedingten) Erfahrungen ziemlich gebrochene Gestalten, mit ihrer männlichen Identität keineswegs im Reinen. Schon aus diesem Grund sind Hemingways Texte für eine Geschichte der Männlichkeit nach wie vor relevant.

Walter W. Hölbling, Professor für Literatur, Kultur und Geschichte der USA an der Universität Graz

Mein "Lieblingshemingway" ist jener der 1920er und '30er Jahre, als er seinen berühmten "Eisberg"-Schreibstil entwickelte, mit dem er dem Lesepublikum scheinbar 'objektive' Fakten bietet; getreu seinem schriftstellerischem Credo präsentiert er lediglich "die Abfolge von Fakten und Bewegung, die Emotionen hervorrufen" ("the sequence of motion and fact that make for the emotion), wie er am Beginn seines Buchs über den Stierkampf vermerkt ("Death in the Afternoon"/"Tod am Nachmittag", 1932). Geschult als Journalist, der in seinen Telegrammen mit wenigen Worten viel zu sagen gelernt hat, entwickelt er einen faktischen Schreibstil, mit dem wir uns wie Augenzeugen fühlen und gar nicht merken, dass er uns keine Details bietet, sondern gleichsam ein Gerüst, dessen Leerstellen wir automatisch mit Bildern aus unserer eigenen Erfahrung füllen.

Ein sehr gutes Beispiel dafür ist der 1929 erschienene Roman "A Farewell to Arms" (dt. "Titel In einem anderen Land"). Der Roman, in dem die Erlebnisse eines US-amerikanischen Freiwilligen im Sanitätskorps der italienischen Armee verwoben werden mit seiner (tragisch endenden) Liebesbeziehung zu einer britischen Krankenschwester gilt als "Klassiker" des desillusionierten Kriegsromans. Krieg als Heldentum ist für ihn schlicht Illusion, die angesichts des unwürdigen technologisierten Massensterbens im Ersten Weltkrieg nicht aufrecht zu erhalten ist.

Für mich sind Hemingways Selbstdarstellung und Reputation als "He-Man", Grosswildjäger, Hochseefischer, Liebhaber von Stierkämpfen etc. für die Beurteilung seines literarischen Schaffens eigentlich nicht wirklich von Bedeutung. Bestenfalls von Interesse als authentischer, auf eigener Lebenserfahrung beruhender Hintergrund für seiner Texte, wie etwa "Tod am Nachmittag" oder auch die Kurzgeschichte "Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber", oder auch sein späterer weltberühmter Roman "Der alte Mann und das Meer". Hemingway kennt, worüber er schreibt, sehr oft aus eigener Erfahrung - was aber nicht heißt, dass alles, was wir von ihm lesen, wirklich der historischen Realität entspricht. Es gibt allerdings kaum einen anderen Schriftsteller, der die Wirklichkeit seiner Romanwelten realistischer vermitteln kann.

Wolfgang Müller-Funk, Kulturphilosoph und Dozent am Institut für Germanistik in Wien

Als altmodischer Mensch besitze ich eine durchaus nicht kleine Bibliothek, ich habe einiges von Ernest Hemingway gelesen, es ist an mir vorübergegangen und hat kaum Spuren hinterlassen.

Dass sein Machismo heute ziemlich komisch anmutet, brauche ich nicht eigens hervorzuheben, dieses wehleidige Pathos des einsamen Mannes, das an amerikanische Filme der 1950er Jahre erinnert. Am besten ist wohl sein schnörkelloser Stil.

Auch das Jubiläum und die mediale Werbetrommel wird mich nicht dazu bewegen, noch einmal die Stunde des Ernest Hemingway schlagen zu lassen. Ich werde kein Buch von ihm auf die Insel mitnehmen.

Walter Grünzweig, Professor für amerikanische Literatur und Kultur an der TU Dortmund

Mein Liebliungshemingway ist ein ungewöhnlicher Roman, der in der Rezeption Rezeption und bei der Kritik häufig auch nicht allzu gut wegkommen. Es handelt sich um "Across the River" (dt. "Über den Fluss und die Wälder", erschienen 1950). Im Mittelpunkt steht der Militär Robert Cantwell, der beide Weltkriege mitgemacht hat und sich nun - zu Endes des Zweiten Weltkriegs - in den Gesprächen mit seiner sehr jungen Freundin Rechenschaft über sein Leben ablegt. Der Roman spielt in unseren Breiten. Er beginnt und endet in Triest, der Hauptteil spielt in Venedig, wo der schwerkranke Militär den richtigen Stil sucht, dem Tod gegenüber zu treten: "Worüber, verdammt noch mal, machst du dir denn Sorgen, Junge? Du bist doch wohl nicht einer von den Ärschen, die sich Sorgen machen, was mit ihnen passiert, wenn man ohnehin nichts mehr machen kann. Das will ich doch wohl nicht hoffen."

Das Problem mit Hemingways Stellung in der Literatur ist, dass man sein öffentliches 'Macho'-Bild allzu sehr und allzu direkt auf seine Texte projiziert. Diese Texte geben, differenziert betrachtet, eine kulturelle und psychologische Analyse des Macho, seiner Widersprüche und seiner Ängste. Mit der Konvergenz von Stil und menschlicher Substanz antizipiert dieser zentrale Autor der amerikanischen Moderne zwar auch schon die postmoderne Vertextung des Menschen. Gleichzeitig aber schöpft jeder Leser - und auch Leserin - Kraft aus der Wucht, mit der sich seine Charaktere gegen ihre Verabschiedung in die Beliebigkeit wehren. Hemingway zu lesen wird immer ein Erlebnis bleiben.

Andreas Weber, Schriftsteller ("Veitels Traum") und Hemingway-Kenner

Lieblingsbücher von Hemingway habe ich einige, mein erstes ist "A Farewell to Arms" (In einem anderen Land), die sehr autobiografisch geprägte Liebesgeschichte, in der er seine erste große (unglückliche) Liebe zur Krankenschwester Agnes Kurowski verarbeitet. Auf der ersten Seite beschreibt Hemingway den Krieg, in dem er erzählt wie die an seiner Stellung vorbeiziehenden Truppen den Staub in der italienischen Landschaft aufwirbeln, sodass in diesem Jahr die Blätter früher von den Bäumen fallen - das hat mich als 16-Jährigen einfach fasziniert und seitdem lese ich Hemingway.

Dafür, dass Hemingway auch heute noch Relevanz hat, ist Paula McLains Roman über seine erste Frau Hadley Richardson, "Madame Hemingway", der beste Beweis. Das Buch kam auf die "New York Times"-Bestsellerliste. Hemingway selbst war ja auch im Mainstream verankert, obwohl er es wagte, auf eine völlig neue Art zu schreiben, waren seine Bücher Bestseller. Er hat vieles, über das er schrieb, selbst erlebt. Und natürlich ist er ein Mythos: Macho, Großwildjäger und Selbstmörder, seine Geschichten sind geprägt von einer verzweifelten Sentimentalität. Mir ist völlig unbegreiflich, wie jemand der so viel auf Reisen war, so unglaublich viel schreiben konnte. Und das (teilweise tragische) Schicksal seiner Kinder trägt sicher auch zum Mythos bei.

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