Salzburger Festspiele: Kehlmanns Geister

(c) APA (Hans Klaus Techt)
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Gelungener Start für die Reihe „Auf eigene Faust“: eine ausführliche szenische Lesung aus Daniel Kehlmanns offenbar noch nicht ganz vollendetem Debütdrama „Geister in Princeton“.

Daniel Kehlmann (*1975), durch den Bestseller „Die Vermessung der Welt“ zu frühem Ruhm gelangt, hat den Salzburger Festspielen nach seiner das „Regietheater“ attackierenden Eröffnungsrede 2009 ein Drama versprochen. Es wurde zwar nicht, wie geplant, für die Auftraggeber fertig, wird erst in Graz am 24.September uraufgeführt, aber im Salzburger Landestheater gab es am Montag in der Reihe „Auf eigene Faust“ zumindest eine opulente szenische Lesung. Sie macht Hoffnung auf ein schönes Theaterdebüt.

„Geister in Princeton“ ist voller Esprit, es vermittelt die Atmosphäre der Welt von gestern. Szenisch erzählt wird das Schicksal des aus Brünn stammenden, die Grenzen der Logik sprengenden Mathematikers Kurt Gödel (1906–1978), der zu den Genies der Philosophen des Wiener Kreises gehört hat. Er floh vor den Nazis nach Princeton ans Institute for Advanced Study, dessen prominentester Exilant Einstein war. Gödel litt unter Paranoia, er fürchtete, vergiftet zu werden. Mit seiner Frau Adele lebte er zurückgezogen und starb an Unterernährung, da sie wegen eines längeren Krankenhausaufenthaltes nicht für ihn sorgen konnte.

Bei Kehlmann sieht Gödel Geister, in seinem Universum ist die Welt der Lebenden zur Welt der Toten offen. Aufgebahrt liegt er anfangs da, um dann, die Gesetze der Zeit aufhebend, von seinem Leben wie von seiner Zukunft zu berichten. Kehlmann gelingt es mit Raffinesse, das geistige Reizklima im Wien der Zwischenkriegszeit anzudeuten. Peter Jordan, derzeit Teufel und Gesell auf dem Domplatz, spielt und liest Gödel mit viel Witz. Bettina Stucky ist dessen mütterliche Frau, voll resoluter Herzenswärme, ein Kontrapunkt zu Wahnsinn und Genie.

Zehn Darsteller, zum Teil vom „Jedermann“, zum Teil vom Schauspielhaus Graz, verdeutlichen, dass dieses Stück mit seinen schwierigen Themen dennoch mit leichter Hand geschrieben ist und mit gutem Gespür für Dialoge. Köstlich sind die immer wieder ins Absurde abgleitenden Szenen in Wien; die Gespräche Gödels mit dem später ermordeten Moritz Schlick (Stefan Suske) oder mit dem Gödel ebenbürtigen János Neumann (Franz Xaver Zach). Später gesellt sich in Princeton Albert Einstein dazu, da entsteht Komik zu ebener Erde und auf der Metaebene. Zu Recht wurden Kehlmann, Christopher Hampton, der die szenische Lesung eingerichtet hat, sowie die Schauspieler nach gut eineinhalb Stunden bejubelt.

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle

Die Reihe „Auf eigene Faust“ hatte jedenfalls einen guten Start. Denn bereits am Vortag bewies Klaus Maria Brandauer, vom Pianisten Lars Vogt begleitet, dass man nicht das große und das kleine Himmelslicht und diverse Windmaschinen benötigt, um einen tiefen Eindruck von Goethes Meisterwerk zu bekommen. „Faust – ein gefesselter Prometheus?!“ hieß die Collage, in der sich Literatur und Musik auf der „Reise vom Himmel durch die Welt zur Hölle“ ideal ergänzten.

Brandauer las nicht nur ausgesuchte Stellen aus dem Drama, sondern reicherte den Stoff gehörig an; mit Goethes rebellischem Gedicht „Prometheus“, mit dem geisterhaften „Erlkönig“, mit einer derben Personenliste des Jungpoeten für ein Puppenspiel, aber auch mit anderen Dichtern, die den Stoff verarbeitet haben: Thomas Mann, Hauptmann, Heine, Enzensberger sowie das Volksbuch vom Doctor Faust – und eine todtraurige Passage über Hiroshima nach dem Atombombenabwurf. „Ist das der Fortschritt?“, heißt es anklagend.

Es fasziniert, mit welcher Konzentration und Sicherheit Brandauer diese Texturen zu einem Ganzen webt, mit wie vielen Stimmlagen er moduliert, vom feierlichen Vortrag bis zum diabolischen Kichern und Meckern von Hexen. Dazu tönt Schostakowitsch aus dem Klavier, heroischer Beethoven oder scheinbar idyllischer Mozart. In nur einer Stunde war bei dieser Matinee mehr gesagt, als manch andere verkrampft in vielen Stunden auszudrücken mögen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2011)

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