Nobelpreis: Tomas Tranströmer, Poet ohne Pose

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Diesmal eine wirklich unpolitische Entscheidung der Stockholmer Jury: Der feinsinnige schwedische Dichter, Tomas Tranströmer, hat sich gegen die übrige Elite der Weltpoesie durchgesetzt.

Zu den Favoriten für den Literatur-Nobelpreis hat der schwedische Lyriker Tomas Tranströmer seit vielen Jahren gezählt. Er schafft in seinen schmalen Bänden beeindruckende Bilder, seine Verse sind ausgefeilt und artistisch. Mit 80 Jahren hat sich der Sohn einer Lehrerin und eines Journalisten bei der Schwedischen Akademie endlich durchgesetzt, gegen die übrige Elite der Weltpoesie, wenn die Buchmacher auch bei den Mitfavoriten recht hatten: Der Syrer Adonis und der Australier Les Murray lagen in den Quoten ebenfalls im Spitzenfeld. Das ist ein ehrenvolles Trio.

Es ging also diesmal nicht um eine politisch motivierte Entscheidung wie so oft, seit eine Generation korrekter Juroren die Auswahl traf, sondern um Texte mit buchstäblich hoher Verdichtung, um Sprachkunstwerke, die dauerhafter sind als Erz. Sieben Schweden hatten die Auszeichnung vor Tranströmer erhalten, aber das ist bereits lange her. Zuletzt hatten 1974 Harry Martinson und Eyvind Johnson gewonnen, die jenseits von Stockholm kaum bekannt waren.

In 30 Sprachen übersetzt

Für den Sieger von 2011, der zehn Millionen Kronen (1,1 Millionen Euro) erhält, gilt das nicht. Unter den Lyrikern ist er weltberühmt. Sein Werk ist in mehr als 30 Sprachen übersetzt, im angelsächsischen Bereich ist er gar der meistübersetzte Skandinavier. Das liegt vielleicht auch am US-Dichter Robert Bly. Eine Poetenfreundschaft: Die beiden Herren übertragen sich gegenseitig in die andere Sprache und korrespondieren auch rege.

Neben vielen schwedischen Auszeichnungen erhielt Tranströmer 1981 den Petrarca-, 1992 den Horst-Bienek-Preis, 1990 den „Neustadt International Prize for Literature“ sowie den „Premio Nonino“ 2004. Seine Poesie ist so pur, dass man ihn als Paul Valéry des Nordens bezeichnen könnte, als Schwedens Variante eines Haiku-Meisters, aber er lässt sich nur schwer einordnen. Auf jeden Fall ist Tranströmers Kunst auch L'art pour l'art. Seine Wortwahl jedoch ist ganz ungeziert. Er ist ein menschlicher Dichter ohne Pose, den Dingen, den Menschen, der Welt ganz nah. „Er weist uns in komprimierten, erhellenden Bildern neue Wege zum Wirklichen“, sagt auch die Nobelpreis-Jury.

Tranströmer wuchs in Stockholm auf, bald schon als Scheidungskind, interessierte sich in seiner Jugend für die Naturwissenschaften, auch für Musik und Kunst, schließlich studierte der begabte Klavier- und Orgelspieler aber in der Hauptstadt Psychologie und war an der Universität vier Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter. Bis zu seinem Ruhestand arbeitete er als Betriebs- und Arbeitspsychologe. Ab 1965 lebte er mit seiner Familie (zwei Töchter) in Västeras, eine Autostunde von Stockholm entfernt. Dorthin, in den Stadtteil Söder, wo er geboren wurde, kehrte er mit seiner Frau erst nach 40 Jahren zurück. Tranströmer ist reiselustig, auch diese Erfahrungen fließen in seine Texte ein.

Sein Debüt als Lyriker hatte er 1954 mit „17 Gedichte“. Pro Jahrzehnt kamen verlässlich ein paar Dutzend dazu, „Geheimnisse auf den Wegen“ (1958) etwa, „Baltische Küste“ (1974), „Die Barriere der Wahrheit“ (1978) oder „Für Lebende und Tote“ (1989). 1997 sind „Sämtliche Gedichte“ in deutscher Übersetzung (Hanns Grössel) erschienen. Von strengen konventionellen Formen, Stanzen, Blankversen, sapphischen Strophen entwickelte Tranströmer sich tendenziell hin zu eigenen freien Rhythmen, wilden Assoziationen und fantasievoller Metaphorik. Sein Blick ist der distanzierte der Moderne.

Übersetzung der Psalmen

1990 gab es eine Zäsur. Tranströmer erlitt einen Schlaganfall, von dem er sich jedoch erholen konnte. Der darauffolgende Band „Die Trauergondel“ (1996) war sein bis dahin erfolgreichster in Schweden. Es folgte noch „Das große Rätsel“ (2004). Mit Helmer Ringgren arbeitet er an einer Übertragung der Psalmen ins Schwedische. Tranströmer hat auch Gedichte von Boris Pasternak und János Pilinszky übersetzt. Für ihn sei beim Schreiben immer die Vision entscheidend gewesen, sagte Tranströmer über die allmähliche Verfertigung seiner Gedichte. Dem Zeitgeist hat er sich nie ergeben. Sein Reich ist die Erinnerung: „Ich fliehe zu denselben Plätzen und denselben Wörtern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2011)

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