"Angst": Frankensteins Monster an der Börse

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Das Buch zur Finanzkrise: Bestsellerautor Robert Harris widmet sich in seinem Thriller "Angst" den geheimnisvollen Umtrieben des automatisierten Wertpapierhandels.

Für Geld interessiert sich Alexander Hoffmann nur am Rande. Auch wenn sein Job darin besteht, möglichst viel davon anzuhäufen. Doch ist der Hedgefonds, den er dafür ins Leben gerufen hat, nur Mittel zum Zweck. Der Physiker arbeitet an einer künstlichen Intelligenz, die selbstständig Entscheidungen trifft und lernt – schneller und effizienter, als es ein Mensch je könnte. Die Spielwiese dafür ist die Welt der Hochfinanz, genauer die des automatisierten Wertpapierhandels. „Vixal-4“ heißt der Algorithmus, den Hoffmann entwickelt hat, um Futures, Bonds und dergleichen zu kaufen oder abzustoßen – so schnell, dass die Programmierer und Techniker die Vorgänge gerade noch beobachten, aber immer weniger nachvollziehen, geschweige denn kontrollieren können. Als würde Frankensteins Monster an die Börse gehen.

Für die Investoren zahlt sich Hoffmanns Erfindung aus: Kein anderer Fonds wirft derart hohe Renditen ab. Das Geheimnis hinter dem Algorithmus ist so simpel wie genial: Er hält im Netz nach einem einzigen Indikator Ausschau, bewertet auf dieser Basis den Markt und landet damit einen Volltreffer nach dem anderen. Der Indikator ist: Angst. Wenn der Mensch Angst hat, so Hoffmanns Idee, reagiert er auf eine vorhersehbare Weise.

Prometheus der Finanzwelt. Die Erkenntnis, dass Psychologie an den Börsen eine wichtige Rolle spielt, ist nicht so rasend neu. Auch dass Computer große Teile des Börsenhandels übernommen haben, ist längst Realität. Und doch trifft der britische Schriftsteller Robert Harris (u.a. „Vaterland“, „Ghost“) mit seinem äußerst mitreißenden Thriller genau den Nerv der Zeit. Denn in Zeiten von Finanzkrise, wackelndem Euro und drohender Hyperinflation ist die Angst zum täglichen Begleiter avanciert. Dazu kommt, dass die internationale Finanzwelt für den Laien – und auch für manchen Profi – längst nicht mehr durchschaubar ist. Dieser Melange aus Komplexität, Unsicherheit und Angst bedient sich Harris– und macht Hoffmann zum modernen Prometheus der Finanzwelt.

Im Mittelpunkt der Geschichte – die man so wie Harris' frühere Werke kaum zur Seite legen möchte – steht Hoffmann, der nerdige Wissenschaftler. Als er eines Tages ein Paket mit der seltenen Erstausgabe eines Darwin-Buchs bekommt, beginnt sein Leben plötzlich in Schieflage zu geraten. Er kann sich nicht erinnern, das Buch jemals bestellt zu haben. Und weiß auch nicht, wer es ihm geschickt haben könnte. Aus einem diffusen Gefühl der Unsicherheit wird schließlich Angst, als in der Nacht plötzlich ein Einbrecher, der sämtliche Sicherheitseinrichtungen des Hauses scheinbar mühelos überwunden hat, in Hoffmanns Küche die Messer wetzt – und den Hausbesitzer mit einem Feuerlöscher niederschlägt.


Verrückt? Zur Angst gesellt sich zunehmend Verwirrung. Denn im Lauf der Tage geschehen immer mehr Dinge, die er sich nicht erklären kann. Dass etwa das Darwin-Buch von einem seiner Konten aus, von dessen Existenz er bisher nicht einmal wusste, bezahlt worden war. Dass vom selben Konto aus Kunstwerke gekauft werden, die seine Frau in einer Galerie ausstellt – und der er nicht begreiflich machen kann, dass er damit nichts zu tun hat. Auch der Einbrecher scheint ihn weiterzuverfolgen. Immer mehr zweifelt Hoffmann deshalb an sich selbst, an seiner Erinnerung, an seiner Urteilsfähigkeit, an seinem Verstand.

Stecken Konkurrenten dahinter, die seinem Fonds schaden wollen – und ihn deshalb psychisch derart unter Druck setzen? Oder hat der Wissenschaftler am Grenzverlauf zwischen Genie und Wahnsinn einen Schritt zu weit in die falsche Richtung gemacht? Letztere Annahme könnte dadurch untermauert werden, dass Hoffmann vor seiner Arbeit mit dem eigenen Hedgefonds einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte.

Damals hatte er noch am Großen Hadronen-Speicherring am Schweizer Kernforschungsinstitut CERN gearbeitet und dort ein neues Projekt auf die Beine gestellt, mit dem er die Messtechnik des Teilchenbeschleunigers revolutionieren wollte – das jedoch gestoppt werden musste. Es ging dabei um künstliche Intelligenz.

Robert Harris „Angst“, Aus dem Englischen von Wolfgang Müller, Heyne Verlag, 384Seiten, 20,60 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2011)

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