Krimi: Dürre Männer mit Narben an Leib und Seele

Krimi Duerre Maenner Narben
Krimi Duerre Maenner Narben(c) Dapd (Torsten Silz)
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Begegnung mit einem Krimiautor: Jo Nesbø ist der düsterste Vertreter der skandinavischen Kriminalliteratur - und der zurzeit erfolgreichste. Gerade ist sein neuer Roman "Die Larve" auf Deutsch erschienen.

Jo Nesbø ist offensichtlich kein Mann äußerlicher Eitelkeiten. So wie er sich im Berliner Hotelzimmer aufs Sofa knotzt, wirkt er wie das archetypische Gegenteil eines Lackaffen: Gut durchgetragene Jeans, schlabbrige Kaputzenjacke, unrasiertes Kinn, ziemlich zerfurchtes Gesicht. Für Smalltalk ist keine Zeit. Er ist auf Lesereise quer durch Deutschland. Der Terminplan ist eng, alle wollen mit ihm reden, das Fernsehen baut im Nebenzimmer bereits die Kameras für das nächste Interview auf. Nach drei Sätzen ist allerdings klar: Für Konversation hat dieser Mann sowieso nie Zeit. Weil ihn alles, was vom Wesentlichen ablenkt, fadisiert.

Mit im Gepäck hat der Norweger seinen eben im Ullstein-Verlag auf Deutsch erschienenen Kriminalroman „Die Larve“ – und seine Kletterschuhe. Während sich andere Autoren am Abend nach den Lesungen gern unter das Publikum mischen, um sich bei Sekt und Brötchen feiern zu lassen, haut Nesbø ab, hinaus in die finstere Nacht. Zieht die Kapuze über den kahlgeschorenen Schädel, sucht sich eine Kletterhalle. Wenn er allein in der Wand hängt, muss er mit niemandem reden. Da kann er nachdenken, neue Geschichten erfinden, an neuen Szenen feilen. Kann in Gedanken Hauptkommissar Harry Hole, die Außenseiter-Kreatur seiner Kriminalromane, durch das düstere Universum aus Verbrechen, Gewalt, Liebe und Mord schicken, das Nesbø für ihn erfunden hat. In Oslo, Afrika, Asien.

Abends Popsänger, untertags Broker

„Die Larve“ ist der neunte Band der Harry-Hole-Serie. Der erste erschien 1997 unter dem Titel „Der Fledermausmann“ und machte den 1960 in Oslo geborenen Nesbø nicht nur daheim auf Anhieb zum Bestsellerautor. Ein ausgesprochenes Glück, wie er findet, denn das Geschichtenerzählen sei immer schon das gewesen, was er am liebsten gemacht habe. Zum Beispiel als Songschreiber der zumindest in Norwegen ziemlich bekannten Popgruppe „Di Derre“, als deren Sänger und Gitarrist er jahrelang abends auf der Bühne stand, während er untertags als Broker und Finanzanalyst arbeitete.

Ein Broker, der Songs und Bücher schreibt, ursprünglich Fußballprofi werden wollte und nur vom doppelten Meniskusriss daran gehindert wurde: Nesbø selbst ist so fern aller Konvention wie sein Hauptkommissar Harry Hole. Der ist groß, hässlich und dürr, ebenfalls kahlgeschoren, an Leib und Seele narbig und von einer fatalistischen Hoffnungslosigkeit beseelt, die er zwischendurch zu betäuben sucht, indem er sich volllaufen lässt. In einfach gestrickten Kriminalromanen verkörpert der Kommissar stets die vielleicht gequälte, jedoch untadelige Person, die Recht und Ordnung zum gesetzestreuen Durchbruch verhilft. Einfach gestrickte Kriminalromane, sagt Jo Nesbø, seien eben konservativ. Und langweilig.

Harry Hole dagegen lebt in einer Welt, in der das Gesetz längst nicht mehr die Basis aller Moral ist, weshalb er sich regelmäßig selbst in Gefilde außerhalb des gesetzlichen Rahmens begibt, um so etwas wie Gerechtigkeit zu befördern. Mitunter wird da dem Mörder größere Sympathie entgegengebracht als seinem Opfer. Doch letztlich versinkt alles wieder in einem Sumpf aus Hoffnungslosigkeit, Drogen, Gewalt. Nesbø greift in seinen genau konzipierten, verschachtelten, in einem atemberaubenden Tempo geschriebenen Romanen heikle Themen wie Migration und Fremdenhass auf, ohne auf politische Korrektheit etwas zu geben. Er analysiert einfach. Kalt und glatt wie ein Fjordfisch.

Der Norweger steht damit in einer Tradition, die in Skandinavien in den 1970er-Jahren mit dem schwedischen Duo Maj Sjöwall und Per Fredrik Wahlöö begann und die sich in jüngerer Vergangenheit mit Bestsellerautoren wie dem jung verstorbenen Stieg Larsson fortsetzte. Sozialkritik als Kriminalliteratur: Auch Larsson positionierte etwa seine auf ihre Art höchst moralische Romanfigur, die Hackerin Lisbeth Salander, in einer Unterwelt weit jenseits der Gesetzesparagrafen. Doch Nesbøs Plots sind erdiger, brutaler und wahrhaftiger als die Larssons.

„Ich habe keine Methode“

Wie er sich diese grauenerregenden Geschichten ausdenkt, die man nicht mehr aus der Hand legen mag, kann er selbst nicht sagen: „Ich habe keine Methode. Ich gehe von Episoden aus, die mir einfallen und um die ich die Geschichten letztlich spinne.“ Starke Szenen ziehen die Filmindustrie an. Bis dato hat Nesbø sich geweigert, die Hole-Serie als Filmstoff zu verkaufen. Im Gegensatz zum Zwischendurch-Roman „Headhunter“, dessen Verfilmung 2012 in die Kinos kommt, ist ihm Hole zu wichtig. Denn was der Filmbetrieb einem Buch antun kann, steht spätestens seit der cineastischen Totalvernichtung von Stieg Larssons Millennium-Trilogie fest. Jetzt hat allerdings die Filmproduktionsfirma der Coen-Brüder angeklopft und nach einiger Verhandlung eingewilligt, dass der Autor den Regisseur vorschlagen kann, also wankt diese Entscheidung.

Wie auch immer, für Nesbø bleibt das Schreiben selbst die befriedigendste Beschäftigung. Wenig, so sagt er, bereite ihm größeres Vergnügen, als bereits um sieben in der Früh vor dem Computer zu sitzen. Für die Konzeption eines Buches braucht er ein knappes Jahr, noch einmal so lang, um es zu schreiben. Die Unterscheidung des Literaturbetriebs in ernste und unterhaltende Literatur kratzt ihn nicht: „Letztlich stimmt das ja, denn einen mittelmäßigen Krimi kann jeder schreiben.“ Es komme allerdings drauf an, einen ausgezeichneten hinzulegen, und das sei schon etwas schwieriger.

Wie es mit Harry Hole weitergehen wird, dem, ohne an dieser Stelle zu viel zu verraten, in der „Larve“ übel mitgespielt wird, verrät der Autor nicht. Nur so viel: „Um Harry muss man sich langsam Sorgen machen. Er driftet immer weiter in die Dunkelheit. Ich glaube nicht, dass er auf lange Sicht zu retten ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2011)

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