Ernst Hinterberger: Der Erfinder des „Mundl“ ist tot

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Er kannte genau, wovon er schrieb: den Gemeindebau, die echten Wiener mit dem gar nicht goldenen Herzen. Am Montag starb Ernst Hinterberger im Alter von 80 Jahren in Lainz. Hinterberger kam erst spät zur Literatur.

Es war ein Missverständnis. Ein sehr produktives Missverständnis, immerhin wurde so aus der Serie „Ein echter Wiener geht nicht unter“ ein Fernsehklassiker, der bei jeder Wiederholung eine neue Generation von Fans findet. Für jene, die Ernst Hinterberger als Romanautor schätzen, ist dieses Missverständnis trotzdem bitter: Denn der „Mundl“, den man aus dem Fernsehen zu kennen glaubt, hat mit dem Mundl, dessen Leben im Roman beschrieben wird, nicht viel zu tun. Der eine wird von Karl Merkatz als Schlawiner gespielt: ein polternder Macho, der aber das Herz am rechten Fleck hat und dem deshalb die Galle übergeht. Über diesen Mundl kann man sogar noch lachen, wenn er seinen Sohn, den Karli, anfährt: „Wannst du noch einmal sagst, dass die Mama a Tratschn ist, kannst du dir gleich an Krankenschein besorgen.“

Verstörend: „Das Salz der Erde“

Hinterbergers Roman „Das Salz der Erde“ dagegen – das ist ein Faustschlag, ein Abgesang auf das Patriarchat: Dieser Mundl kann die Zeichen der Zeit nicht lesen, er hält an seinem Machogehabe fest, auch wenn er damit seine Familie sprengt. Allein das Gespräch, das er mit seiner Frau Toni über den ehelichen Sex führt, gehört zum Verstörendsten, Schonungslosesten, das in Österreich zu diesem Thema geschrieben worden ist. Das Ende des Romans ist kein bisschen versöhnlicher: Dieser Wiener wird untergehen, weil er alle, die er geliebt hat und die ihn geliebt haben, grausam zurückgestoßen hat.

Ernst Hinterberger, am 17. Oktober 1931 geboren, kam erst spät zur Literatur: Er absolvierte erst eine Elektrikerlehre, ging dann zur Polizei – erst nach Abschluss seiner Ausbildung stellte sich heraus, dass er für den Polizeidienst „körperlich ungeeignet“ sei. Er verdingte sich als Hilfsarbeiter, bildete sich aber an der Volkshochschule fort, ergatterte einen Job in einer Bücherei. Acht Jahre lang leitete er eine Bücherei in Ottakring, bis sie geschlossen wurde.

Im Alter von 35 Jahren begann er zu schreiben. Gedichte, die von seinem Glauben kündeten, dem Buddhismus. Kurze Zeit später entstand das erste Prosastück – und es war ganz anders gestrickt, es zeigte den sanften Buddhisten als kraftvollen Arbeiterdichter: „Die Familie Sackbauer in Jesolo“ war das Manuskript übertitelt. Der Zsolnay-Verlag zeigte Interesse und bat Hinterberger, den Text auf Romanlänge zu bringen. Ergebnis war „Das Salz der Erde“. Er habe, meinte Hinterberger einmal, über die „kleinen Leute“ schreiben wollen, wo doch sonst immer alle nur über die „besseren“ schrieben.

Auch beim „Kaisermühlen-Blues“ – ab 1992 im ORF gesendet – blieb er diesem Konzept treu. Mochten andere Fernsehserien die Reichen und Schönen in den Mittelpunkt rücken – bei ihm drehte sich alles um die Hausmeisterin Turecek, die Trafikantin Gitti, die Leute aus dem Gemeindebau. Im Gegensatz zum „Echten Wiener“ war das eine Serie mit Charakteren, die man lieb gewinnen konnte und sollte – sogar die beiden leicht vertrottelten Parteifunktionäre von SPÖ und ÖVP, die als Bezirksräte für Komik sorgten. Wenn es um die FPÖ ging, war bei Hinterberger freilich Schluss mit lustig: Der blaue Aufsteiger, gespielt von Alfons Haider, war eine wirklich üble Figur.

Ja, Hinterberger, der 15 Jahre in der Zeitschrift der Arbeiterkammer eine Kolumne namens „Kollegen“ schrieb, war ein politischer Autor, und er war – auch wenn er seine buddhistische Abgeklärtheit immer wieder betonte – ein kämpferischer Autor. Oft kämpfte er mit den Mitteln der Satire – und meist sehr raffiniert, denn er wusste wohl, dass das Publikum nicht belehrt werden will. In einer Folge des „Kaisermühlen-Blues“ spielt Hinterberger höchstpersönlich einen Ungustl, der im Wahllokal auf die Politiker schimpft, diese „Hurenviecher“: Die „ghöraten alle in die Wüascht“ – wie die Katzen und Hunde der Frau Klinger. Spätestens, wenn es um die Tiere ging, mochte da keiner mehr zustimmen . . .

Die dritte Serie, mit der Hinterberger erfolgreich war, war ein Ableger des „Kaisermühlen-Blues“: Im Mittelpunkt stand ein Polizist – auch dieses Milieu kannte Ernst Hinterberger genau. Das war wohl sein Rezept: Er wusste, wie die Leute sind, von denen er schrieb, er wusste, wie sie sprechen, was sie trinken, wie sie Urlaub machen, wie es in ihren Wohnungen und in ihren Herzen aussieht: Noch differenzierter als in den Drehbüchern konnte er dieses Wissen in seinen Romanen ausbreiten, etwa in „Das Abbruchhaus“, in dem er das Leben in einem Zinshaus über die Jahrzehnte beschrieb.

Er selbst hat „seinem“ Milieu auch dann nicht den Rücken gekehrt, als es ihm finanziell möglich gewesen wäre – er lebte im Gemeindebau, arbeitete bis 1991 als Expeditleiter in einer Fabrik. Am Montag ist Ernst Hinterberger im Alter von 80 Jahren gestorben.

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