Johann Nestroy, ein Dichter von mehr als „nur der Posse“

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Zum 150.Todestag des Dramatikers hat Edgar Yates eine kompetente und auch hilfreiche Biografie veröffentlicht. Yates gelingt es in seinem chronologischen Buch vorbildlich, den Theateralltag abzubilden.

Wien im Vormärz, vor der Mitte des 19. Jahrhunderts, muss man sich als besonders närrisch vorstellen, wenn es ums Schauspielvergnügen geht. Ein Kritiker schrieb 1841: „,Novitäten! Novitäten!‘ das ruft der Theatermagen des Publikums unaufhörlich, und lieber alle Tage eine andere Gattung Mehlspeise, als alle Tage oder sechzig Mal hintereinander Zuckerbrot!“ In diesem Reizklima hatte sich Johann Nepomuk Nestroy zu bewähren, der 1801 als Sohn eines Advokaten geboren wurde, der selbst diese Laufbahn einschlagen sollte, aber bald nach Beginn des Jus-Studiums eine Karriere als Sänger anstrebte, ehe er sich endgültig der Bühnenleidenschaft ergab.

Der Theatermagen musste ständig gefüttert werden, das trieb die Schauspieler und Autoren zu unglaublichen Leistungen, wie man der neuen Biografie von W. Edgar Yates, Emeritus der Universität Exeter, entnehmen kann. Im Jahre 1841 zum Beispiel trat Nestroy trotz längerer Krankheit im Sommer fast 230Mal auf, 21Mal davon bei Gastspielen in Prag und Hamburg. Es war üblich, mehrere Dutzend Rollen parat zu haben. Zugleich schrieb Nestroy damals einige seiner besten Possen, die heute Klassiker sind. Innerhalb von 15Monaten entstanden „Der Talisman“, „Das Mädl aus der Vorstadt“ und „Einen Jux will er sich machen“. Täglich 14Stunden Arbeit bis tief in die Nacht, hieß es bei Direktor Carl Carl, fürs Dichten war der Morgen da. Entsprach ein Stück nicht der Erfolgserwartung, wurde es sofort abgesetzt. Jubel und Verriss hielten sich selbst bei Nestroy die Waage.

Ein Frauenheld und Spieler?

Yates gelingt es in seinem chronologischen Buch „Bin Dichter nur der Posse. Johann Nepomuk Nestroy. Versuch einer Biografie“ vorbildlich, den Theateralltag abzubilden („Quodlibet 11“ im Verlag Lehner, 312 Seiten, 24,90 Euro). Das Zitat des Titels, es stammt von Nestroy, zeigt falsche Bescheidenheit. Sein Werk ist mehr als Posse, ist Weltliteratur. Aber auch das Wort „Versuch“ untertreibt. Als Mitherausgeber der 2010 vollendeten historisch-kritischen Nestroy-Ausgabe (56 Bände!) ist Yates optimal für dieses Standardwerk. Man kann davon ausgehen, dass er jeden existierenden Zettel kärglicher Primärquellen dreimal umgedreht, mit Sekundärem angereichert hat, um neue Aufschlüsse des Dichterlebens zu erhalten. Er kommt dieser Ära des Fortschritts nah, zeigt den Kampf mit der Zensur, der Presse, der Konkurrenz. Die philologische Anstrengung ist nur im Drang nach Vollständigkeit spürbar. So viele Reisen und Auftritte, so viele Nebenwerke werden notiert. Yates spiegelt nicht vor, Nestroys Privatleben genau zu kennen. Ein Frauenheld? Ein Spieler? Der Dichter war diskret. Dennoch ergibt sich ein starkes Sittenbild. Nestroys Werk enthüllt seine Zeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2012)

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