Neue Gesichter am Schirm

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Der ORF will weiblicher werden, auch im Programm. Ob das durch "New Faces" für Diskussionen und starken weiblichen Figuren in Serien gelingt?

Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, da diskutierten in einer Ausgabe des wieder eingeführten „Club2“ ausschließlich Frauen über die Finanzkrise in Griechenland. Unüberhörbar stolz war der ORF damals auf die erstmals rein weibliche Diskussionsrunde. Aber musste das eigens erwähnt werden? Hatten davor nicht schon hunderte Male reine Männerrunden im ORF diskutiert?

Wahre Gleichberechtigung sieht anders aus. Etwa so, dass in jeder Diskussion annähernd gleich viele Männer und Frauen zu Gast sind. Ein Ziel, das der ORF, so viel muss man sagen, schon lange verfolgt. Doch von Sendungsverantwortlichen ist immer wieder dieselbe Klage zu hören: Frauen sind viel schwieriger vor die Kamera zu bringen – so wie Zeitungen wissen, dass Frauen seltener auf den Kommentarseiten vertreten sind. Sehr oft würden angefragte Expertinnen eine Reihe an Gründen vorbringen, warum sie für das Thema viel weniger geeignet sind als ihre Chefs oder Kollegen – und wenn sich eine Frau in einem Thema sattelfest fühlt, lässt sie häufig der Respekt vor der Kamera zögern. Das soll sich nun ändern, geht es nach ORF-Programm-Direktorin Kathrin Zechner. Nicht nur in den Redaktionen, sondern auch bei den Interviewpartnern soll der Frauenanteil in den kommenden zwei Jahren deutlich gesteigert werden. Noch 2010 waren bei den meisten Diskussionen drei von vier Gästen Männer. „Wenn wir die Bevölkerung spiegeln wollen, ist das Ziel, dass wir das Verhältnis bis 2015 auf Halbe-Halbe verbessern“, sagt sie. Das Publikum soll nicht mehr ständig den Mann in der Expertenrolle und die Frau in der Rolle der Betroffenen präsentiert bekommen.


Jung, weiblich, Bundesland. Ein Umdenken bringen soll auch das gemeinsame Projekt von ORF und Publizistikinstitut, das soeben für ein weiteres Jahr verlängert hat: Zwei Studenten gehen dabei in ganz Österreich auf die Suche nach neuen Gesichtern, die in einer Datenbank erfasst werden. 140 solcher „New Faces“, so der Name des Projekts, fasst die Datenbank mittlerweile. Der größte Bedarf besteht bei jungen Frauen aus den Bundesländern. Was nicht bedeutet, dass nicht auch Wienerinnen oder ältere Männer als „New Faces“ registriert werden – wenn sie bislang unentdeckt waren. Bei Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Seminaren spüren die Studenten die neuen Gesichter auf, machen Probeaufnahmen mit ihnen, um zu testen, ob sie rhetorisch einigermaßen fit sind.

So wurde auch die Kärntnerin Gerit Ganster entdeckt, die eine Kommunikationsagentur führt und ein Buch über Kindererziehung verfasst hat. Kaum waren die Probeaufnahmen fertig, rief die „Im Zentrum“-Redaktion bei der dreifachen Mutter an. Sie waren auf der Suche nach jemanden, der über schulautonome Tage diskutieren kann. „Viele haben gesagt, da gehst du hin, das traust du dich“, erzählt Ganster. Sie habe mit öffentlichen Auftritten „kein Problem“. Trotzdem wäre ihr bis dahin nicht in den Sinn gekommen, einmal im ORF zu diskutieren.


Hemmschwelle nehmen. Mit einem Gratis-Coaching soll „den New Faces das Handwerkszeug mitgegeben werden, um ihre Hemmschwelle vor Livediskussionen abzubauen“, sagt Zechner. Dafür ist offenbar auch in Sparzeiten noch Geld da. Hannes Haas, Professor am Wiener Publizistikinstitut, kennt das Dilemma moderner Diskussionsrunden, „nicht nur in Österreich.“ Es gäbe zu viele ähnliche Talkshows (die ARD hat kürzlich einen von fünf Talks abgesetzt), in denen die immer selben Themen diskutiert werden. „Und überall gibt es einen überschaubaren Expertenpool, in dem Frauen unterrepräsentiert sind.“ Die BBC reagiert darauf schon seit einigen Jahren mit ihrer „Expert Academy“, mit der sie gezielt Frauen in der Wissenschaft anspricht. Gesucht sind dort derzeit vor allem Expertinnen zum Ersten Weltkrieg – das Jubiläumsjahr 2014 wirft seine Schatten voraus. In einer Onlinedatenbank, Find-a-TV-Expert.com, können sich Frauen wie Männer registrieren lassen und werden nach eingehenden Überprüfung aufgenommen. So sucht die BBC sogar nach neuen TV- und Radiopräsentatoren.

Das ORF-Programm weiblicher machen will TV-Direktorin Zechner auch „mit starken Frauen im fiktionalen Bereich“. Mit Adele Neuhauser bekam Österreich 2010 reichlich spät die erste weibliche „Tatort“-Kommissarin, bei der Serie „Cop-Stories“ sind gleich viele Frauen wie Männer im Polizeidienst. Zechners Anweisung, in jeder „Pressestunde“ eine Frau als Interviewerin zu laden, wird zwar nicht immer eingehalten – Frank Stronach wird heute, Sonntag etwa von zwei Männern befragt –, doch Zechner verweist darauf, dass sich bereits etwas bewegt hat: 2013 seien bereits 33 Prozent Frauen in „Im Zentrum“ zu Gast gewesen, 35Prozent in der „Pressestunde“ – zum Vergleich: 2011 waren es nur 21 Prozent.


Ausgezeichnet. Getan hat sich auch ORF-intern einiges in Sachen Gleichberechtigung – weil das Gesetz das auch vorschreibt. Zu verdanken ist das auch der Gleichstellungsbeauftragten Monika Rupp, die mit August in Pension geht. In ihrer neunjährigen Tätigkeit hat sie einige Hürden in Sachen Gleichstellung genommen. Immerhin sind heute drei von 14 ORF-Direktoren Frauen (zum Vergleich: bei den Privatsendern ist mit Corinna Milborn nur eine Frau in einer Führungsfunktion), der Frauenanteil in der TV-Direktion liegt bei 56 Prozent, in den Direktionsbüros bei 55. Der Frauenanteil in den vier höchsten Gehaltsstufen (von 18) ist von 26,2 auf 28,6 Prozent gestiegen.

Ein schönes Abschiedsgeschenk hat Rupp das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (Eige) gemacht und den im Vorjahr erstellten ORF-Gleichstellungsplan als „Good Practice“-Beispiel ausgezeichnet. Langfristig soll damit ein Frauenanteil von 45 Prozent auf allen Gehalts- und Funktionsebenen im ORF bestehen. Der Weg dorthin ist freilich noch ein langer.

New Faces

Seit 2012 sucht der ORF mit Unterstützung von Studenten der Publizistik nach Experten in ganz Österreich, und zwar vor allem Frauen, die fachlich qualifiziert und rhetorisch fit sind und Interesse daran haben, Interviews zu geben oder bei Diskussionen zu Gast zu sein. 140 Personen hat der ORF bisher in der Datenbank „New Faces“ gespeichert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2013)

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