ORF-Umfrage zeigt Skepsis gegen Newsroom

Die Presse (C. Fabry)
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Die ORF-Redaktion warnt den Stiftungsrat vor einer übereilten Standort-Entscheidung. Eine Umfrage zeigt die Sorgen auf. Der Text im Wortlaut.

Folgendes Schreiben hat der ORF-Redakteursrat den Stiftungsräten vor ihrer Sitzung am kommenden Donnerstag per E-Mail zukommen lassen:

Sehr geehrte Damen und Herren!


Am 6. März 2014 soll der Stiftungsrat über den Antrag von GD Wrabetz über die Konzentration der ORF-Redaktionen entscheiden. Es ist die letzte Stiftungsratssitzung in dieser Amtsperiode. Die Entscheidung über den künftigen Standort ist die mit Abstand wichtigste seit Jahren: sie ist irreversibel, sobald mit der Zusammenlegung begonnen wird. Damit wären die ORF-Redaktionen auf Jahrzehnte am Küniglberg eingemauert. In den vergangenen Jahren ist die ORF-Standort-Diskussion zu einem Politikum geworden, mit nur zwei Szenarien - entweder Sanierung des Küniglbergs oder einem Neubau in St. Marx, jeweils in Verbindung mit der Schaffung eines multimedialen Newsrooms. Ihre Entscheidung darf aber nicht nur politische und finanzielle Aspekte berücksichtigen, sondern es geht dabei um viel mehr.

Die ORF-Journalist/innen, die täglich Informationssendungen produzieren, wurden bisher nicht eingebunden. Und auch der Redakteursvertretung wurde bisher die im ORF-Gesetz und Redakteursstatut festgelegte "Mitwirkung an sachlichen Entscheidungen" in dieser wichtigen Zukunftsfrage verwehrt.
Darum wenden wir uns an Sie: Multimediales Arbeiten ist für die Redaktionen des ORF nichts Ungewöhnliches, sondern in den Landesstudios und Korrespondenten-Büros alltäglich, und viele von uns haben Erfahrungen in verschiedenen Medien. Es hat durchaus gute Gründe, warum immer mehr Medienunternehmen - auch öffentlich-rechtliche Sender - ihre Zukunft in einem multimedialen Newsroom sehen: effizienteres Arbeiten, Mehrfach-Verwertung der produzierten Inhalte, Einbindung Neuer Medien und neue Formen des Storytellings, geringere Kosten durch weniger Raumbedarf.

Der ORF ist aber - als Marktführer in Radio, TV, Online und Teletext - in einer Sonderposition. Die Pluralität in der Berichterstattung - also verschiedene Zugänge zu Themen, verschiedene Schwerpunkte, unterschiedliche Interviewpartner - muss erhalten bleiben. Eine Zusammenführung der Redaktionen darf nicht zu einem "journalistischen Einheitsbrei" führen. Das wäre eine Gefahr für Meinungsvielfalt und Demokratie in Österreich. Derzeit führt schon die räumliche Trennung von Radio, TV, Online und Teletext zu einer getrennten Bewertung der Nachrichtenlage und zu unterschiedlichen Zugängen - zum Wohle des Publikums. Keine demokratische Kraft kann Interesse haben an uniformen, zentral gesteuerten Informationsströmen in den wichtigsten Medien eines Landes. Unabhängig davon, wie die Standort-Frage entschieden wird: redaktionelle Unabhängigkeit und Meinungsvielfalt müssen auch in einem gemeinsamen Newsroom erhalten bleiben.

Umfrage: 55% erwarten Qualitätsverlust

Die Redakteursvertretung hat 2013 eine wissenschaftlich fundierte Befragung aller Journalist/innen durchgeführt, die voraussichtlich in einem gemeinsamen Newsroom arbeiten würden. 236 von rund 350 Redakteur/innen aus den zentralen Bereichen Radio, TV, Online und Teletext haben an dieser Umfrage teilgenommen. Die wesentlichsten Ergebnisse:

1.) Offenheit:
78 % der befragten Journalist/innen wünschen sich mehr Kooperation zwischen den verschiedenen ORF-Medien. 70 % sind bereit, auch für anderer ORF-Medien als derzeit zu arbeiten. Und 90 % sagen, die neuen Technologien sind für sie zu meistern.

2.) Skepsis:
68 % gehen davon aus, dass ein zentraler Newsroom die Meinungsvielfalt gefährdet. 74 % erwarten sehr ähnliche Beiträge auf allen ORF-Kanälen. 55 % rechnen mit Qualitätsverlust in der Berichterstattung.

3.) Befürchtungen:
94 % erwarten, dass die Einführung eines zentralen Newsrooms zu weiterem Personalabbau in den Redaktionen führen wird. 66 % rechnen mit einem Sinken der Qualität in der Berichterstattung und 59 % rechnen mit noch mehr Arbeitsdruck.
Die Details der Untersuchung stellen wir Ihnen auf Wunsch gerne zur Verfügung.

Der gesamte ORF hat in den vergangenen Jahren ein rigides Sparprogramm auf sich genommen. Mehr als 700 Mitarbeiter wurden abgebaut, weitere 250 sollen in den nächsten zwei Jahren noch folgen. Gleichzeitig wurde die Zahl der Info-Sendeminuten deutlich erhöht. Viele Redaktionen arbeiten bereits jetzt weit unter den personell notwendigen Ressourcen. Einsparungen dürfen aber nicht die alleinige Prämisse im öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden - sondern es muss weiterhin Qualitätsjournalismus möglich sein. Sonst verliert der ORF die Gebührenlegitimation, wenn wir nur "Copy&Paste"-Journalismus produzieren und nicht deutlich mehr journalistische Fachkompetenz und Inhalte bieten als kommerzielle und werbefinanzierte Medien.

Zur Standort-Frage:
Eine Zusammenlegung am Küniglberg würde - wenn die veröffentlichten Berechnungen stimmen - Einsparungen bringen. Aber ist das wirklich die beste Lösung? Schließlich würde - trotz eines zentralen Newsrooms im ORF-Zentrum - wegen der langen Fahrzeiten von Pressekonferenzen oder Interviews in der Innenstadt auch künftig ein Produktionsstandort im Zentrum Wiens gebraucht werden. Denn das Ö1-Mittagsjournal wird weiterhin um 12:00 Uhr beginnen. Schon jetzt gibt es das Stadtstudio im Parlament, allerdings mit nur wenigen Arbeitsplätzen die für kurzzeitige Anwesenheit (kein Tageslicht) ausgelegt sind. Eine Minimal-Lösung im denkmalgeschützten Funkhaus wird auch schwierig und wirft die Frage auf, warum man dann nicht einfach dort bleibt. Neue, innenstadtnahe Produktionsräumen bedeuten aber zusätzliche Miet- oder Errichtungskosten. Wenn tatsächlich das Funkhaus in der Argentinierstraße aufgegeben werden sollte, wurden andere Optionen für einen gemeinsamen ORF-Standort - etwa der neue Hauptbahnhof - überhaupt ernsthaft geprüft? Im Gegensatz zum Küniglberg ist der Hauptbahnhof nahe zur Wiener Innenstadt, liegt extrem verkehrsgünstig (mit U-Bahn, Schnellbahn, Straßenbahn, Zug) und wäre von Grund auf für die redaktionellen Bedürfnisse der Zukunft planbar.

Ein moderner ORF braucht einen modernen Standort. Wir bezweifeln, dass die derzeit geplante Lösung - Sanierung und Zubau von drei "Fingern" als Newsroom-Lösung - wirklich das beste Zukunftskonzept ist. Trotz jahrelanger Diskussionen ist die derzeit geplante Lösung zu wenig durchdacht und zu sehr auf die finanziellen Konsequenzen reduziert.

Manövrieren Sie uns mit der Standort-Abstimmung im Stiftungsrat nicht in eine irreversible Situation, von der viele sagen, dass sie nicht die beste Lösung sei. Die beste Lösung haben sich der ORF, seine Mitarbeiter/innen und das Publikum aber verdient - ein gemeinsames, neues Nachdenken ohne ideologische Schranken würde da sicher helfen. Das ist besser, als jetzt unter Zeitdruck eine Entscheidung zu treffen, mit der kaum jemand wirklich zufrieden sein kann.

Mit freundlichen Grüßen,
der Redakteursrat
Dieter Bornemann, Peter Daser, Eva Ziegler

(i. w.)

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