Vice Alps: "Provokation ist nicht mehr unser Ziel"

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Die Zeitschrift Vice startet die Musikplattform Noisey in Österreich und der Schweiz. Vice Alps-Herausgeber Stefan Häckel und Noisey-Chefredakteur Jonas Vogt im Interview.

Heute Mittwoch startet das Medienunternehmen Vice die Musikplattform Noisey in Österreich und der Schweiz. DiePresse.com hat Vice Alps-Herausgeber Stefan Häckel und Noisey-Chefredakteur Jonas Vogt zum Gespräch getroffen:

Was genau erwartet uns mit Noisey Alps?

Jonas Vogt: Bei Noisey Alps, also Österreich und Schweiz, wird es das gleiche geben, was es bei Noisey International seit Jahren gibt: Berichte über neue Bands, auch über große Bands. Über Alben, Videopremieren, Festivals, Fan- und Clubkultur. Zentraler Bestandteil werden Videos sein, exklusive Premieren von Musikvideos und Noisey-Features. Wir werden viel Bewegtbild mit österreichischen Artists produzieren.

Wie ist das Verhältnis von originärem Content und Inhalten aus der Alpenregion?

Vogt: "Der Anteil der österreichischen Inhalte wird massiv aufgebaut werden. Schwierig zu beziffern. Anfangs werden wir froh sein, wenn wir ein bis zwei lokale Geschichten haben. Der englischsprachige Inhalt wird natürlich übersetzt. Deutscher Content wird übernommen.

Stefan Häckel: Wir wollen ein gute Mischung aus nationalem und internationalem Content. Da trifft etwa Wolfram auf Giorgio Moroder, international gab es das "Back and Forth" etwa mit Snoop Lion und Asap Rocky. Aber keine „Hey, du hast ein neues Album. Erzähl uns davon"-Geschichten. Noisey wird auch eine Meinung haben.

Wer ist die Konkurrenz für Noisey? Ist FM4 ein Mitbewerber?

Vogt: FM4 ist selbstverständlich ein Mitbewerber. Was die machen ist wichtig und gut und hat eine Verbreitungstiefe, die in Österreich schwer zu finden ist.

Häckel: Aber FM4 unterliegt dem ORF-Gesetz und hat  Einschränkungen in der Kommunikation, speziell online. Ob FM4 Facebook-Seiten betreiben darf, darüber wird gestritten. Dafür haben sie einen Radiosender, den haben wir nicht und wollen ihn auch nicht. Überhaupt muss man das mit den Mitbewerbern relativieren. Nach FM4 wird's relativ schnell relativ dünn, was Musikberichterstattung und Aspekte der Musikkultur betrifft. Uns geht's bei Noisey nicht nur um die Bands und Artists, sondern es geht auch um die Fans und die Fankultur. Wir waren beispielsweise beim Frei.Wild-Konzert in Wien und haben die Leute befragt, weshalb sie aufs Konzert gehen. Anstatt den üblichen Medien-Chorus "Wieso wird über Frei.Wild berichtet" und das Bashing zu bringen.

Wir haben ganz andere Möglichkeiten als ein originäres österreichisches Musikformat und setzen die Hebel anders an. Wir haben Vice in 34 Ländern, haben überall Vermarktungs- und Redaktionsbüros. Noisey haben wir in zwölf Ländern gelauncht. Wir haben dadurch Zugang zu Künstlern wie Action Bronson und Asap Rocky.

Vogt: Es ist aber nicht nur einseitig, im besten Fall auch unseren Content aus Österreich raus. Natürlich sind österreichische Bands daran interessiert. Das ist der Hebel, der oft in Österreich noch fehlt: Wie schaffe ich es international? Du bist relativ schnell in 'The Gap', auf FM4 und dann war es das dann auch wieder schnell. Wir haben den Anspruch, österreichische Bands zu featuren und sie auch an ein größeres Publikum heranzuführen. Aktuell ist eine exzellente Zeit, es gibt viele gute österreichische Bands, die auch in Deutschland darüber hinaus eine relativ große Aufmerksamkeit bekommen.

Von welchen österreichischen Bands sprechen wir hier?

Vogt: Derzeit ist es z.B. Bilderbuch. Die machen großartige Musik zum Einen und haben - zum Anderen - eine gewisse Starattitüde, ohne peinlich zu sein. Cid Rim macht einen sehr internationalen Sound und wird mit jeder EP besser. Dorian Concept arbeitet an einem neuen Album. Wenn das kommt, wird das sowieso eine andere Liga. Aber wir wollen nicht nur Elektronik, sondern von Indie über Metal und Hip Hop alles abdecken.

Häckel: Die Quantität von qualitativ guten Bands ist in Österreich gewachsen. Es sind schon lange nicht mehr die 'Kellerpartien' von früher.

Jüngst haben mehrere Bands ihre Nominierung für den österreichischen Musikpreis Amadeus Awards zurückgezogen. Wie beurteilt Ihr die Situation?

Häckel: Die alteingefahrenen Strukturen sind im Bruch und das ist auch im Awards- und Veranstaltungsbereich zu sehen. Es wird's nicht unkommentiert zur Kenntnis genommen. Die Künstler denken sich dann: So nicht. Dann pfeif' ich drauf. Und ich mache ein Facebook-Post, die Medien nehmen das auf und wir haben eine große Diskussion.

Zurück zu Vice: Die Medien stecken in einer Krise, überall wird gestrichen und eingespart. 

Vogt: Wir gehen genau jetzt den umgekehrten Weg: Wir bauen jetzt aus, wir gehen da jetzt rein.

Häckel: Krisen ermöglichen das Wachstum von Medien ja manchmal auch erst. Der Irak-Krieg hat für einen enormen Boost für CNN beigetragen. Die klassische Print-Krise gibt es für uns nicht. Wir machen in Österreich „nur" 11 Prozent Umsatz mit Print, auch wenn wir immer noch sehr stark als Printmedium konnotiert sind.

11 Prozent sind wenig. Wird überlegt, das gedruckte Magazin, das es seit 1994 gibt, ganz einzustellen?

Häckel: Gar nicht, auch international nicht. Print ist immer noch die haptische Visitenkarte. Wir erreichen mit Print eine wesentlich ältere Zielgruppe als mit online und wir wollen diese auch abdecken.

Apropos klassisches Medium: Gibt es Bestrebungen einen eigenen Fernsehsender zu starten?

Häckel: Ein eigener TV-Sender ist nicht geplant. Es ist auch nicht sinnvoll für uns. Wir würden es eher so machen wie Vice mit HBO. Also suchen uns einen Premiumpartner, für den wir den Content genau maßschneidern. Auch in Österreich haben Fernsender durchaus Interesse bekundet. Wir schauen uns das mal an.

Diese Woche wurde auch die Beta-Version des Nachrichten-Videoportals Vice News präsentiert ...

Häckel: Vice News haben die Amerikaner in Windeseile aufs Tapet gebracht. Die ersten drei Monate wird der Channel ausschließlich auf Englisch laufen. Dann wird sich entscheiden, wann auch deutschsprächigen News-Content geben wird.

Auf dem News-Kanal sind auch kritische Dokumentationen zur Ukraine oder den Olympischen Spielen in Sotschi zu sehen. Man gewinnt den Eindruck, dass Vice erwachsen wird. Und auch, dass nicht nur die junge Zielgruppe die Videos teilt, sondern auch etablierte Journalisten und TV-Moderatoren. Ist der Imagewandel oder besser gesagt die Imageerweiterung ein Ziel?

Häckel: Ja, das ist ein Ziel. Vice hat ja 1994 begonnen als Voice, als alternative Stimme aus Montreal. Heute sind wir alle älter. Sex, Drugs und Rock'n'Roll sind nach 15 Jahren immer noch Sex, Drugs und Rock'n'Roll. Aber die Gesellschaft und die Weltöffentlichkeit hat sich verändert. Mit Vice News covern wir die klassischen Underreported-Stories, die Geschichten hinter die Geschichten. Wir fahren überall hin. Mit unserem Ukraine-Videobeitrag waren wir kürzlich bei „Thema" im ORF. Und solche Sachen greifen Leute wie Florian Klenk und Armin Wolf auch auf.

Vice wird wegen Fotostrecken, in denen junge Frauen nackt dargestellt werden, kritisiert. Welchen Stellenwert hat Feminismus bei Vice?

Vogt: Das ist alles kein Widerspruch mehr. Ich kann mir genauso eine Nackten-Strecke anschauen und daneben eine Syrien-Reportage haben. Vice ist immer mehr eine Autoren getriebene Seite und bildet diese Vielfalt der Autoren auch ab.

Häckel: Uns interessiert alles, was unsere Zielgruppe interessiert. Das gehört in den angesprochenen Erwachsenwerden-Prozess dazu. Es reicht schon lange nicht mehr - und es ist nicht mehr unser Ziel - provokant zu sein. Das war mal so. Das war eine gute Zeit lang auch eine gute Strategie. Jetzt nicht mehr. Es geht darum ernst zu sein, ernste Fragen zu stellen und ernst genommen zu werden. Darüber hinaus haben wir auch stark feministische Inhalte und bitten unsere Kritikerinnen auch laufend direkt um Texte, die wir gerne unzensiert übernehmen.

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