Politiker und Journalisten: Ziemlich beste Feinde

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Man kennt einander noch immer gut und mag einander (mitunter) auch. Trotzdem ist etwas Wesentliches anders geworden. Politiker und Journalisten haben sich entfremdet. Eine nötige Emanzipation.

Ein Mittwoch im März 2014. Im Dachfoyer der Hofburg ist versammelt, was in Wien Rang, Namen und vor allem Zeit hat an diesem Vormittag: Chefs staatsnaher Unternehmen, Spitzenfunktionäre der Sozialpartnerschaft, höchstrangige Beamte – aber auch die obligatorische Schulklasse, die hier heute ihre „politische Bildung“ absolviert. Und die das Signal setzt, dass es in der Politik immer und besonders um die Zukunft und die Jugend geht.

Und so ist es auch gemeint: „Erfolgreich. Österreich.“ prangt wie ein Mantra in grauer Schrift an der Stirnwand des Saales. Darunter sitzen Kanzler und Vizekanzler und schmücken dies mit Worten aus: Erfolgreich durch die Krise ... hervorragende Wettbewerbsfähigkeit ... Bürokratieabbau ... geringste Arbeitslosigkeit in ganz Europa ... Investitionen ins Bildungssystem. Werner Faymann zitiert Helmut Schmidt: „Der Sozialstaat ist das Vermögen des kleinen Mannes.“ Und Michael Spindelegger bringt das Regierungsprogramm auf einen einfachen Nenner: „Was wir für Österreich erarbeitet haben, ist angesichts der Möglichkeiten das Beste.“ Man möge nur die Herrschaften von Moody's fragen, die dem Land soeben wieder das Triple A bestätigt hätten.

Im Dorf. Am anderen Ende des Saales, hinter 300 geladenen Gästen, stehen Österreichs Journalisten. Und wollen das alles nicht so recht wertschätzen. Die Stimmung im Land ist oberflächlich höflich und tief drinnen aggressiv. Das spüren alle, und nicht erst seit Kurzem. Der Bruch zwischen dem In-der-Öffentlichkeit-Stehen und dem Deswegen-beliebt-Sein ist seit Langem da, und er vertieft sich. Der letzte Regierungschef mit klarem Kanzlerbonus war Viktor Klima in den Neunzigerjahren, Zustimmungswerte von bis zu 60 Prozent sind seit Schüssel und dem Ende der Konsensdemokratie undenkbar geworden. Wer heute in Ministerbüros und Kanzlerämtern sitzt, sieht sich einer zutiefst kritischen Öffentlichkeit gegenüber, vor allem einer medialen.

Politiker sein heißt heute oft: alles müssen und nichts dürfen, 100-Stunden-Jobs unter Dauerbeobachtung. Zudem erwecken die (eh nicht allzu hohen) Bezüge Neid. Wer dieses Bild transportiert? Die Medien. Und so entsteht in der politischen Klasse ein Selbstbild von fleißigen, redlichen Dienern des Staates auf der einen Seite und den fürs schlechte Image verantwortlichen Gfrastern in den Redaktionen auf der anderen.

Dieser Mittwochvormittag in der Hofburg illustriert das gut: Der Applaus selbst der geladenen Gäste ist schleppend, die Diskussionsbeiträge sind mehr Ko-Referate als Fragen. Und als die anwesenden Schüler endlich auftauen, interessiert sie vor allem ein Thema: die Zentralmatura und ob sie jetzt kommt. Die Bundesregierung hat eigentlich eingeladen, um den Auftakt einer Informationstour durch alle Bundesländer in großem Rahmen zu starten. Die Idee dahinter ist: Wir sprechen direkt mit den Bürgern, ohne vorgeschalteten medialen Filter, alle Regierungsmitglieder in ganz Österreich.

Wenn man diesen Vormittag mit neun multipliziert, dann kommt man großzügig gerechnet auf 3000 Teilnehmer. Die Reichweite jeder einzelnen „Presse“-Ausgabe ist gut hundertmal so groß, die der „ZiB2“ zweihundertmal. Und die „Zeit im Bild“ um 19.30 Uhr werden an diesem Mittwochabend 1,1 Millionen Menschen gesehen haben. Das Match um Relevanz und Deutungshoheit haben die Medien gewonnen, bevor es begonnen hat. Das weiß jeder hier im Saal. Die Veranstaltung endet daher auch mit dem, was seit zwanzig Jahren „Spin Doctoring“ heißt: Pressesprecher mischen sich unter die anwesenden Journalisten, um guten Wind und schönes Wetter für den eigenen Chef, die eigene Chefin zu machen.

Schließlich kennt man sich und pflegt vertrauten Umgang. Das Leben spielt sich ja stets in Dörfern ab, und das ist in Politik und Journalismus nicht anders: Hundert, zweihundert Entscheidungsträger prägen Österreichs Politik, hundert, zweihundert Journalisten berichten darüber. Jeder kennt jeden. Und das schon lange. Das macht es nicht immer nur einfach. Die effizienteste Korruption ist die durch Nähe: die Beißhemmung, weil man das Gegenüber eigentlich sympathisch findet.

Doch in die warme Atmosphäre von Nähe und Vertrautheit bläst immer öfter ein scharfer Wind. Die meisten Medien stehen in einem Überlebenskampf, das macht sie gereizt und unberechenbar. Die Politik vermisst das frühere Einverständnis von leben und leben lassen. Sie gerät zwischen Fronten, die früher nicht vorhanden waren.

Die sogenannte Inseratenaffäre ist ein Beispiel dafür: Eine über Jahrzehnte geübte Selbstverständlichkeit, dass nämlich politische Entscheidungsträger auch bei der Vergabe von Zeitungsinseraten aus ihrem Bereich mitsprechen, wird plötzlich zum Skandal. Jene Medien, die am lukrativen Kuchen öffentlicher Gelder weniger partizipieren, schießen gegen jene, die Hauptnutznießer dieser Praxis sind. Öffentlich getroffen werden jene Politiker, die diesen Usus gelebt haben – lebende Kollateralschäden in einem Verdrängungskrieg. Das persönliche Unrechtsempfinden der Politik geht in solchen Fällen gegen null, man hat ja schließlich nichts gestohlen. Das Unverständnis über die Medienkampagne ist groß. Die Lust, sich der Kritik zu stellen, klein.

Über all dem liegt die in der Politik häufig vertretene Sicht, die Medien seien bloß Transmissionsriemen für Informationen und nicht Kontrollinstanz. Das Bild vom Journalismus als vierter Gewalt wird an Publizistikinstituten gelehrt, aber nicht an Parteiakademien. Die Politik mit dem ihr innewohnenden jeweiligen Alleinbesitz der Wahrheit steht ratlos vor den Kritikastern.

Klare Fronten. Begleitend kommt dazu, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur die Rolle und Selbstdefinition der Medien verändert hat, sondern auch ihr Rekrutierungsmuster. Früher ging der Weg in den Journalismus häufig über politische Jugendorganisationen. In einer Zeit, in der das Land noch paternalistisch von den damaligen beiden Großparteien verwaltet wurde, war es für politisch Interessierte normal, dass man irgendwann in die Nähe einer Partei geriet. Der Weg vom Politinteresse in den Politjournalismus war nah: Oft führte er über Parteizeitungen, oft über Kurse bei parteinahen Ausbildungsstellen, wie Funder- oder Austerlitz-Institut. In den Siebzigern konnte man die Frage „Woher kommt er, woher kommt sie?“ jedenfalls leicht beantworten. Man war aus demselben Holz geschnitzt. Heute nicht mehr. Journalismus ist ein Zeitgeist- und kein Gesinnungsberuf mehr. Junge Journalisten kommen von der Fachhochschule und nicht mehr aus Vorfeldorganisationen. Mit dem Verkauf der „AZ“ vor einem Vierteljahrhundert war der letzte relevante Vertreter der ehemals großen Parteipresse verschwunden, die über Jahrzehnte übliche Verschränkung von Politik und Publizistik passé.

Die wachsende Entfernung führte zur Entfremdung. Alte Muster des „Das bleibt unter uns“ hielten nicht mehr. Selbst ein Politprofi wie Wolfgang Schüssel stolperte in die „Richtige Sau“-Affäre: Das joviale Schimpfen am Frühstückstisch wurde von den anwesenden Journalisten plötzlich nicht mehr belacht, sondern berichtet. Die Kameraderie war vorbei. Die Journalisten sahen es als Emanzipation, die Politik als Vertrauensbruch.

Heute sind die Fronten klar abgesteckt: Hier die Medien, immer plakativer, unter immer größerem Wettbewerbsdruck eines Publikums, das für sie immer weniger Interesse, Zeit und vor allem Geld aufzuwenden bereit ist. Wer überleben will, muss auffallen, schreien, glauben zumindest die meisten. Dort die Politik, in einer globalisierten, ökonomisierten Welt, immer machtloser, angesichts neuer Krisen, immer komplexer und undurchsichtiger. Ehrliche Politik kann keine einfachen Lösungen bieten, und differenzierte Sichtweisen will keiner hören und kaum einer drucken.

Ein bisserl schimpfen. Was also tun als Politiker? Ein bisserl schimpfen, ein bisserl beleidigt sein. Hintergrundgespräche statt öffentlicher Auftritte, Appelle an die Verantwortung der journalistischen Entscheidungsträger: „Ihr müsst doch sehen, dass wir das Beste wollen. Und ihr müsst es auch weitererzählen.“ Nach außen hin gibt es die Bekenntnisse zu neuem Stil, zu mehr Kommunikation. Diskurs ja, Streit nein, und eigentlich sind wir wirklich gut, schaut bloß her: Erfolgreich. Österreich.

Dann beim Rausgehen, am Treppenabsatz des Dachfoyers: Ein alter Bekannter, von vor 30 Jahren schon. Zuerst hat man sich ein Zimmer in einer Redaktion geteilt, dann ist er in die Politik gegangen. Mittlerweile macht er Politikberatung – und richtig viel Geld. „Was hältst du von dem Ganzen heute?“ „Schwach“ sagt er, „da war keine einzige konkrete Botschaft dabei. Wie kann man so eine Chance nur auslassen? Das muss man ganz anders machen.“ Er wird wieder gut verdienen in nächster Zeit.

zur person

Fritz Dittlbacher
ist Chefredakteur des Aktuellen Dienstes des ORF-Fernsehens. Dazu gehören alle „Zeit im Bild“-Sendungen, alle Chroniksendungen der „Heute“-Strecke, alle Diskussionsformate und alle Sondersendungen.

Er ist promovierter Historiker und Kommunikationswissenschaftler und seit dreißig Jahren in Print, Radio und Fernsehen als Politikjournalist tätig.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2014)

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