TV und Satire: Jon Stewarts Vorzeigebrite macht sich selbstständig

John Oliver
John Oliver(c) HBO
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John Oliver hält in seiner Show „Last Week Tonight“ Amerika den Schelmenspiegel vor.

Chelsea ist schwanger! Verschollenes Flugzeug nach Pakistan entführt? Fitnessvideo der menschlichen Barbie-Puppe! Wer heutzutage US-Nachrichtensender wie CNN, ABC oder Fox News einschaltet, muss zum Schluss kommen, dass das Schicksal der Welt an der Schwangerschaft einer Präsidententochter, einem abgestürzten Flugzeug oder den Hervorbringungen einer entgrenzten Unterhaltungsindustrie hängt. Internationale und inländische politische Konflikte werden nach der Machart von Hollywood-Filmen inszeniert, hinterlegt mit bunten Landkarten, auf denen die Stadt Cannes schon einmal an den Golf von Biskaya verlegt wird, wie das CNN bei der Berichterstattung über ein G20-Gipfeltreffen passiert ist.

Man kann das abschalten – oder besonders genau hinschauen und den Wahnsinn als solchen ausschildern; das tut Jon Stewart mit seiner „Daily Show“ auf dem Kabelsender Comedy Central seit dem Jahr 1999, und es sagt genauso viel über seinen Scharfsinn wie über die Hohlheit des Nachrichtenfernsehens aus, wenn er in Umfragen von vielen Medienkonsumenten als glaubwürdigste Quelle für Nachrichten bezeichnet wird.

Oliver folgt auf Colberts Spuren

Stewart ist ein hervorragender Förderer komödiantischen Talents; sein früherer Korrespondent Stephen Colbert ist mittlerweile mit seiner eigenen Show, dem „Colbert Report“, ein Star und folgt im nächsten Jahr der Talkshowlegende David Letterman auf CBS. Nun macht sich ein weiterer früherer Mitarbeiter auf, die blinden Flecken und Dumpfheiten der amerikanischen Nachrichtenwelt aufzuspießen. Wöchentlich am Sonntagabend blickt John Oliver auf dem Bezahlsender HBO (bekannt für hervorragende Serien wie „The Wire“ oder „The Sopranos“) auf das Geschehen der vergangenen Woche zurück.

Und das ist sehr, sehr lustig. In der ersten Sendung berichtete der 37-jährige Brite über die Wahlen in Indien, die in den USA kaum beachtet werden. „Knöpfen wir uns Gandhi zuerst vor“, sagte er bei der Vorstellung des Spitzenkandidaten der regierenden Kongresspartei, Rahul Gandhi. „Und ich stelle fest, dass dieser Satz nicht zum ersten Mal mit einem britischen Akzent gesprochen wird.“ In weiterer Folge bekam der Bundesstaat Oregon sein Fett ab, der eine Viertelmilliarde Dollar in eine nicht funktionierende Gesundheitsversichungs-Website versenkt hatte. Diese Website wurde seinerzeit mit einem im Stil alternativer Hipster gedrehten Werbespot beworben, und Oliver drehte den Spieß nun um. In einem musikalischen Sketch, der diesem verunglückten PR-Unterfangen äußerlich nachempfunden ist und das Selbstverständnis von Portland, Oregons wichtigster Stadt, als Metropole des amerikanischer Hipstertums köstlich persifliert, wirft die Sängerin Lisa Loeb – eine 90er-Jahre-Ikone selbigen Hipstertums – den Oregonians die Blödheit vor, ihren gewählten Politikern nicht genauer auf die Finger geschaut zu haben, als sie ihre Gesundheitsversorgung fahrlässig aufs Spiel setzten.

Auch die Lebensmittelindustrie, die falsche Gesundheitsangaben auf ihre zuckrigen Frühstücksflocken und Limonaden druckt, wurde abgewatscht. Ein Höhepunkt war Olivers Interview mit Keith Alexander, dem früheren Chef der US-Spionageagentur NSA. „Sie sagen, die NSA müsse gleichsam den ganzen Heuhaufen haben, um die Nadel darin zu finden“, zitierte Oliver das Kernargument der NSA für die Sammlung gigantischer Mengen an privaten Daten. „Stimmt“, antwortete Alexander. „Ja, aber Sie haben nicht nur den Heuhaufen, sondern die ganze Scheune, den Bauernhof, den gesamten Landstrich und noch dazu Fotos von der Bauersfrau unter der Dusche!“ Solche scharfsinnigen Fragen musste Alexander bei seinen Anhörungen im Kongress nie parieren.

Die befreiende Kraft des Schimpfwortes

Oliver, der in Cambridge studierte und dort zu Theatergruppe The Footlights gehörte, die schon die komödiantischen Meister Monty Python, Stephen Fry und Hugh Laurie (den man als sardonischen Dr. House kennt) hervorbrachte, kann auf HBO aber vor allem eines tun, das ihm die prüden amerikanischen Rundfunkvorschriften auf frei empfänglichen Kanälen verbieten würden: Er darf fluchen wie ein Rohrspatz. Kein Piepton übertönt ihn schamhaft, wenn er einen empörenden politischen Unfug als das bezeichnet, was er im Grunde genommen ist: nämlich Bullshit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2014)

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