ORF: "Wir wissen praktisch nichts"

Eine Großstudie könnte zum ersten Mal Daten darüber liefern, wie Migranten Österreichs Medien nutzen.

Alexander Wrabetz weiß, dass die bisherigen Messinstrumente ihm keine Daten darüber liefern, wie Menschen mit Migrationshintergrund die Medien nutzen. Ich habe solche Erhebungen mehrfach öffentlich gefordert, es war also nur logisch, dass er auf mich zugegangen ist.“ Diese Woche soll der Medienwissenschaftler Fritz Hausjell vom Institut für Publizistik der Uni Wien dem ORF-General ein „Konzept“ übergeben, wie die „Presse“ erfuhr. Methodische und inhaltliche Empfehlungen für eine Studie, mit der der ORF Neuland betreten würde: Die Bedürfnisse und Gewohnheiten von österreichischen Migranten als Mediennutzer sollen in Umfragen erhoben werden. Kosten: 100.000 bis 120.000 Euro, schätzt Hausjell.

Seinen Vorschlägen nach wäre die Erhebung auf Wien fokussiert und würde sich auf die (unter Ausklammerung Deutschlands) fünf größten Herkunftsgruppen beschränken: „Serbien und Montenegro, Türkei, Polen, Bosnien und Herzegowina, Kroaten. Dehnt man es weiter aus, ist man schnell bei zehn zusätzlichen Gruppen, und da reden wir von einer Verteuerung um das Dreifache. Die Frage ist auch noch, wie weit man Migranten der zweiten und dritten Generation mit einbezieht, bei denen zwar nicht mehr das Sprachproblem, aber die kulturelle Prägung eine große Rolle spielt.“

„ZiB“ mit türkischen Untertiteln?

Vor wenigen Tagen noch hatte der ORF-Generaldirektor in einem Interview mit dem Magazin „Datum“ gemeint, der ORF sei ohnehin migrantenfreundlich genug. Mit zwei Reportern mit Migrationshintergrund für „Wie bitte?“ und einem Themen-Schwerpunkt im Herbst über Migration und Integration schien das Thema abgehakt. Aus diesem Rahmen fiel nur die ORF-intern aufgebrachte und in einem „Standard“-Interview von Wrabetz auch ausgesprochene Idee, die „Zeit im Bild“ türkisch zu untertiteln. Unverbindliche Koketterie?

Vielleicht doch mehr. Mit den Ergebnissen der Studie, an die Wrabetz denkt, hätte der ORF erstmals eine Grundlage, um Migranten gezielt anzusprechen. Hausjell: „Bisher wissen wir praktisch nichts.“ Nur für Wien gebe es „rudimentäre Daten“, die die Stadt vor Jahren erhoben hätte. „Der ORF kann bei Sendungen wie ,Heimat, fremde Heimat‘ nicht einmal sagen, ob er die Kernzielgruppe erreicht.“ Denn der Teletest, mit dem der ORF die Mediennutzung messe, differenziere nicht nach der Herkunft. „Würde man den Teletest in dieser Richtung modifizieren, würde er um vieles teurer werden. In Deutschland hat man einen Kompromiss gemacht, indem man zumindest die Ausländer aus anderen EU-Ländern gesondert erhebt.“ Warum nicht die große Gruppe türkischer Migranten? „Offenbar, weil sie nicht so werbeattraktiv sind, sie werden als weniger kaufkräftig eingeschätzt.“

Dennoch, in Österreich sei die Zahl der Menschen mit migrantischem Hintergrund mittlerweile so groß, dass der ORF sie nicht ignorieren könne, meint Hausjell. Ein migrantenfreundlicher ORF bringt ORF-freundliche Migranten. Es geht um Quoten, Werbegelder. „Ohne Informationen über die Mediennutzung kann die Wirtschaft bestimmte Potenziale nicht nutzen, weil sie nie sicher ist, wen sie erreicht.“ Auch die Stadt Wien sei an einer Studie interessiert. „Sie könnte einen Teil der Zahlen kaufen.“

Komplexe und heikle Erhebung

Von der Entscheidung des ORF hänge es ab, wer die Untersuchung durchführen werde, betont Hausjell. „Es gibt mehrere Markt- und Meinungsforschungsinstitute, die das leisten können, wir haben auch schon Angebote eingeholt. Unsere Aufgabe besteht in der grundsätzlichen Konzeption, Beratung und Auswertung. Aber auch der ORF hat eine exzellente Medienforschungsabteilung.“ Leicht werde es nicht werden, ist Hausjell überzeugt, die Erhebung sei komplexer als die gewöhnliche Mediennutzungsforschung: Man müsse auch muttersprachliche Interviews führen, man müsse wissen, wie weit man Privates berühren dürfe, und auch der Umgang mit weiblichen Interviewpartnerinnen könne heikel sein. „Aber da kann man auf deutsche Erfahrungen zurückgreifen.“

Wie detailliert werden die Ergebnisse sein? „Man wird abschätzen können, welche Kanäle welche Nutzungsstruktur haben; wir werden relativ genau die Präferenzen für einzelne Programme untersuchen. Tägliche Quoten kann erst der Teletest bieten, und das würde wesentlich mehr kosten. Aber da ist die Frage, ob die öffentliche Hand nicht auch etwas beisteuern sollte. Die Politik beklagt sich über Integrationsresistenz, aber sie hat bisher wenig getan, um ein integrationsfreundliches Klima zu gewährleisten.“

Inline Flex[Faktbox] AUSLAND: Migranten & Medien("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2007)

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