„Die Leseranwaltschaft ist sinnlos“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Alfred Payrleitner, oberster Anwalt der Leser, hält die Einrichtung für zahnlos. Über einen Presserat wird gesprochen – und zwar mit Optimismus.

Seit Dezember 2001 hat Österreich keinen Presserat mehr. Wie sehr ein solches Selbstkontrollorgan (es wurde bereits 1961 ins Leben gerufen) fehlt, wird angesichts der Ereignisse in Amstetten einmal mehr deutlich. Das Verlies-Drama und die Art und Weise, wie manche Medien einen solchen Kriminalfall samt seinen Opfern genüsslich ausschlachten, lässt derzeit die Politik lautstark nach der Wiedereinführung eines Presserates rufen.

Die im Vorjahr vom Verein der Chefredakteure initiierte Leseranwaltschaft, die derzeit als einziges Instrument der Selbstregulierung dient, ist nach Ansicht ihres Ehrenvorsitzenden Alfred Payrleitner „zahnlos“: „Das, was wir machen, ist weitgehend sinnlos“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“ – das sei seine persönliche Meinung. „Wir haben uns eingebildet, dass gutwilliges Miteinanderreden auf Freiwilligkeit geht – aber das funktioniert gar nicht. Die Zeitungen, um die es immer wieder geht, sind zwar freundlich im Umgang, aber sie kümmern sich nicht darum.“ Die schwarzen Schafe in der Branche pfeifen drauf, was die Leser und deren Anwaltschaft zu sagen respektive zu kritisieren haben. Es fehlt an Sanktionsmöglichkeiten – und damit an der nötigen Schlagkraft.

VÖZ: 300.000 Euro Basisfinanzierung

Die soll nun ein neuer Presserat erhalten, über den der Verlegerverband VÖZ, die Journalistengewerkschaft und der Verein der Chefredakteure derzeit hinter den Kulissen Gespräche führen. Da sich die Politik des Themas derzeit so annimmt, hat VÖZ-Generalsekretär Gerald Grünberger gleich einen Vorschlag in der Tasche: „Wenn die Politik etwas beitragen kann, dann wäre das eine Basisfinanzierung: Wenn sich die mit 300.000 Euro im Jahr einstellt, dann könnten wir das Instrument relativ rasch aufstellen“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. Vorausgesetzt, man wird sich einig.

„Uns ist wichtig, dass es eine breite Akzeptanz gibt“, so Grünberger. Kauf- und Gratiszeitungen müssten mit an Bord sein, und es gehe nicht ohne die Redaktionen – sprich: ohne Unterstützung durch die Chefredakteure, die dafür zu sorgen hätten, dass die Grundsätze des Presserates tatsächlich „gelebt werden“. Auch wenn wohl nie alle mitmachen: „Es wird immer das eine oder andere schwarze Schaf geben, das sich denkt, wenn wir die Fotos bringen, können wir unsere Auflage steigern – und sich bewusst über die Richtlinien hinwegsetzt. Daran wird auch der Presserat nichts ändern.“ Wo man dazu bereit sei, gehe es darum, das Bewusstsein zu schärfen. Der VÖZ könne sich auch die Einrichtung eines Ombudsmannes vorstellen – zur Streitschlichtung, bevor ein Fall vor den Presserat kommt.

Breite Basis – oder nur Sozialpartner?

Der Verein der Chefredakteure wünscht sich einen „Presserat auf breiter Basis“, wie dessen Vorsitzender Claus Reitan schildert: „Wir wollen mehr Beteiligte, mehr Interessierte ins Boot holen – das geht hin bis zu kritischen Konsumentenschützern und Publizisten.“ Man sei „dabei, sich wieder ein bisschen anzunähern“, so Reitan.

Die Gespräche seien vertraulich, betonen alle Seiten. Dem Vernehmen nach soll die Gewerkschaft Entgegenkommen gezeigt haben: Der VÖZ wünscht sich einen Juristen als Vorsitzenden des Presserates – da sei man sich weitgehend einig, heißt es. Gewerkschafter Franz C. Bauer zeigt sich dennoch kämpferisch: „Die Chefredakteure sind für mich keine Gesprächspartner“, sagt er der „Presse“. Warum? „Es geht um das demokratische Recht auf Meinungsfreiheit – dieses demokratische Recht kann nur von demokratisch legitimierten Organisationen definiert werden“, findet er. In dem Fall seien das Gewerkschaft, Betriebsrat, VÖZ. Wenn der VÖZ dann der Meinung sei, es seien Chefredakteure zu entsenden, „dann werden die drinnen sitzen“. Bauer ist sicher: „Es wird eine breite, legitimierte Selbstkontrolle geben.“ Und zwar bald.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2008)

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