All You Can Watch: Neuer Spieler im TV-Markt

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Mitte September startet der US-Online-Sender Netflix in Österreich. Die hohen Erwartungen wurden schon im Vorfeld enttäuscht. Doch das ist Teil der Strategie des Unternehmens.

Kein Markt ist dem Online-TV-Kanal Netflix zu klein, was zählt, ist das große Ganze. Wenn das US-Unternehmen mit Sitz im kalifornischen Los Gatos in zehn Tagen seine Webseite für Deutschland, Österreich, die Schweiz, Frankreich, Belgien und Luxemburg öffnet, werden nicht mehr die USA, sondern wird Europa der größte Markt für den Web-Sender sein – zumindest, was die Anzahl der Haushalte betrifft, die über einen Breitband-Internetanschluss verfügen.

Mal größenwahnsinnig, dann wieder betont zurückhaltend geben sich die Netflix-Macher. Seit 2010 wird jedes Jahr in einen neuen Markt expandiert (Kanada, Südafrika, Großbritannien, Schweden, Finnland etc.), gleichzeitig ist man Meister im Tiefstapeln: Zuerst machte man wochenlang ein Geheimnis um den genauen Mitteleuropa-Start. Dann tourte Mitte Juni Jori Evers, der Sprecher des Senders, ein gebürtiger Niederländer und ehemaliger Tech-Journalist, durch die Hauptstädte der neuen Netflix-Länder und traf Medienjournalisten zum Hintergrundgespräch, um das publizistische Feld zu ebnen. Früh genug sollten da vermeintliche „Missverständnisse“ ausgeräumt (nein, wir sind keine Online-Videothek, sondern ein Online-TV-Sender) und die in Europa zum Teil sehr hohe Erwartungshaltung gesenkt werden (nein, wir bieten nicht wie Spotify in der Musik alle neuen Filme und Serien der Welt an).

Besser unterschätzt werden. Zwei Wochen vor dem Österreich/Deutschland-Start sieht es so aus, als habe Netflix im Vorfeld gute Arbeit geleistet. Die Erwartungshaltung von Kunden, Fachpresse und der TV-Konkurrenz ist deutlich niedriger als noch vor einem halben Jahr. Ein geschickter Schachzug, denn Netflix weiß, dass die Chancen besser sind, wenn man zuerst unterschätzt wird. Dafür soll der Start richtig knallen: Der Markteintritt wird am 16. September in Berlin und am 17. September in Wien mit großem Aufwand gefeiert. Reed Hastings, der CEO des 1300 Mitarbeiter großen Unternehmens, dass sein kleines Europa-Headquarter in Amsterdam hat, kommt nach Berlin und Wien und nimmt sich Zeit für ausführliche Einzelgespräche mit Journalisten. Dasselbe gilt für Programmchef Ted Sarandos und Produktchef Neil Hunt. Abends wird es eine Party geben.

Allzu viel war den Verantwortlichen – trotz der Hintergrundgespräche – vor dem Start über ihren Dienst nicht zu entlocken. Zumindest der Abo-Preis ist zuletzt durchgesickert – und der ist, wenn er stimmt, mit 7,99 Euro pro Monat eine Spur niedriger als in Großbritannien, wo das Abo derzeit 6,99 Pfund (also 8,80 Euro) kostet. Das liegt auch daran, dass der Sender hierzulande den „House of Cards“-Aufschlag nicht berechnen kann. Denn die erfolgreiche Netflix-Eigenproduktion mit Kevin Spacey wird im deutschsprachigen Markt zu Beginn nicht zu sehen sein (siehe rechts). Das Serien- und Spielfilmprogramm setzt sich anfangs überall gleich zusammen: 80 Prozent sind amerikanisch, 20 Prozent aus dem jeweiligen Land. Die nationalen Inhalte sollen sukzessive erweitert werden.

Schlacht im Onlinevideo-Markt.
Betont gelassen, zumindest nach außen, gibt sich nicht nur Netflix, sondern auch die TV-Konkurrenz. Denn alle Marktteilnehmer wollen den vielversprechenden Prognosen glauben, dass der Onlinevideo-Markt im deutschsprachigen Raum noch viel Potenzial hat: Schon jetzt sehen in Deutschland drei von vier Internetnutzern Videostreams (also rund zwölf Millionen), etwa Filme bei YouTube oder Beiträge aus Online-Mediatheken von TV-Sendern, wie die Beraterfirma Deloitte berechnet, die leider keine Zahlen für Österreich erhoben hat. „Streaming wird den gesamten Medienmarkt revolutionieren“, so Klaus Böhm von Deloitte. Die Umsätze mit Video-Abrufinhalten dürften sich laut der Studie bis 2020 auf 385 Millionen Euro in Deutschland annähernd vervierfachen.

Natürlich will Netflix in dem Markt langfristig der Marktführer sein und zwar dank eines auf das jeweilige Land abgestimmten Programms. Für mehrere Länder außerhalb der USA wurden bereits Eigenproduktionen angekündigt, darunter auch Frankreich und Deutschland. In Amerika zählt Netflix bereits 36 Millionen Abonnenten, weltweit sind es 48 Millionen. In Zukunft soll das Verhältnis umgekehrt aussehen: 75 Prozent der Kunden will man außerhalb, 25 Prozent innerhalb der USA haben. Im Vorjahr wurden 4,4 Milliarden Dollar (3,4 Milliarden Euro) umgesetzt und 112,4 Millionen Dollar (87 Millionen Euro) Gewinn eingefahren.

In Amerika spielt Netflix längst in einer Liga mit den großen Medienkonzernen und hat laut dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik gemessen an den Abo-Zahlen bereits mehr Zuschauer als jeder herkömmliche TV-Sender. Und Fernsehen allein ist Netflix nicht genug: Ko-Gründer und Vorstandsvorsitzender Reed Hastings kündigte an, er könne sich vorstellen, künftig auch Kinofilme zu produzieren. Inspiriert wurde Hastings zu seiner Firmengründung 1997 angeblich, nachdem er einen Film zu spät in die Videothek zurückbrachte und eine Mahngebühr von 40 Dollar zahlen musste. Der Mathematiker und Informatiker gründete zunächst einen Verleihdienst, der Kunden gegen eine monatliche Gebühr Filme nach Hause schickte. Daraus wurde der Streamingdienst Netflix. Zur Hauptabendzeit ist Netflix in den USA manchmal bereits für 30 Prozent des Datenverkehrs von Provider zu Endverbraucher verantwortlich.

Das Unternehmen passt sich an die veränderten Fernsehgewohnheiten der Nutzer an – oder hat sie sogar maßgeblich beeinflusst: Die selbst produzierten Serien werden nicht episoden-, sondern staffelweise veröffentlicht. Bahn frei also für das längst salonfähig gewordene „Binge Watching“ („Koma-Fernsehen“). Dabei scheut Netflix keine finanziellen Mühen. Die erste Staffel von „House of Cards“ ließ sich der Konzern satte 100 Millionen Dollar kosten – und verlangte nicht einmal eine Pilotfolge. Drei Milliarden Dollar stehen jährlich für den Einkauf neuer Inhalte bereit. Wofür das Geld ausgegeben wird, berechnet der Computer: Netflix sammelt laufend Daten von seinen Nutzern und ermittelt, wofür sich die Masse interessiert. Also etwa Polit-Thriller von Regisseur David Fincher, in denen Kevin Spacey mitspielt. Heraus kam die Politserie „House of Cards“, dank der Netflix international bekannt wurde.

Konkurrenz in Österreich.
Die Konkurrenten rüsten angesichts des Netflix-Starts in Österreich auf: Der ORF hat sich am Wiener Video-Start-up Flimmit beteiligt, das ORF-Eigenproduktionen und österreichische Filme anbieten soll. „Maxdome“ von ProSiebenSat1 bezeichnet sich als „Österreichs größte Online-Videothek“ mit 50.000 Filmen und Serien, gibt aber keine genauen Kundenzahlen bekannt. Der Bezahlsender Sky betreibt „Snap by Sky“ und verlangt nur 3,99 Euro im Monat. UPC Austria prüft dem Vernehmen nach ein ähnliches Angebot. Die Apple-Mediathek iTunes ist zumindest hierzulande keine echte Konkurrenz: Österreichische Nutzer können dort nur über Umwege auf das US-Serienangebot zugreifen, neue Filme sind mit vier bis fünf Euro Leihgebühr eher teuer (und die Leihdauer von 48 Stunden viel zu kurz).

Firmenchef Reed Hastings weiß um die Konkurrenz und auch um die hohen Erwartungen an die Expansion. Es sei für ihn in Ordnung, „Dritter oder Fünfter“ in einem Markt zu werden, sagte er kürzlich. Da ist es wieder, das Tiefstapeln. Die Aktionäre dürften jedenfalls an die Taktik des Konzerns glauben: Im vergangenen Jahr hat die Netflix-Aktie um 60 Prozent zugelegt.

Was gespielt wird

Serien. Ziemlich sicher im Programm sein werden die Serien „Orange is The New Black“, das „Breaking Bad“-Spin-off „Better Call Saul“ und „Fargo“.

Heimische Filme. Das zweite Steckenpferd von Netflix sind Filme und Serien aus dem jeweiligen Land. Zudem will der Streamingdienst eigene Sendungen im jeweiligen Sprachraum produzieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2014)

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