Saudiarabien: „Es ist legitim, die Abtrünnigen zu töten“

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Betreiber von „freizügigen“ TV-Stationen werden von religiösen Richtern mit dem Tod bedroht.

KAIRO. Arabische Besitzer von Fernsehstationen leben gefährlich. Denn der Freibrief, den der oberste religiöse Richter Saudiarabiens jüngst ausstellte, ist eindeutig: Tod den Besitzern von unmoralischen Fernsehstationen.

„Es ist erlaubt die Besitzer von jenen Stationen zu töten, die Verwerfliches und Ausschweifendes ausstrahlen“, erklärte Salah Al- Luhaidan auf die Frage eines Radiohörers, der ihn nach seiner religiösen Meinung über die Fernsehstationen des Landes gefragt hatte. Einige hatten im kürzlich zu Ende gegangenen Fastenmonat Ramadan leicht bekleidete Frauen gezeigt.

Der Chef des höchsten Gerichtshofes im saudischen Königreich machte seine Äußerungen in einem Radioprogramm mit dem Titel „Licht auf dem Weg“, das täglich vom saudischen staatlichen Kanal gesendet wird. Darin werden islamische Rechtsgelehrte zu ihren Meinungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens befragt.

Unmoralisch, aber beliebt

„Die Lage ist ernst“, ließ der 79-jährige Scheich verlauten, „der Niedergang der Moral hat eine Form der Perversion auf Erden erreicht.“ Er wolle die Besitzer von Fernsehstationen vor den Konsequenzen warnen, Unmoralisches und Vermessenes zu senden. „Es ist legitim, die Abtrünnigen, die sich der Verwerflichkeit schuldig gemacht haben, zu töten, wenn das Böse nicht durch einfache Sanktionen beseitigt werden kann.“

Sein Aufruf zum Töten hat selbst innerhalb Saudiarabiens eine Kontroverse ausgelöst. Zählen zu den Besitzern der erwähnten arabischen Fernsehstationen doch auch ausgerechnet einige namhafte Prinzen des saudischen Königshauses wie Walid bin Talal. Er wird vom Magazin „Forbes“ auf der Liste der reichsten Menschen der Welt auf Rang 13 geführt und unterhält unter anderem einen Musikkanal, eine Art arabisches MTV namens Rotana. Rechtsgelehrte wie Al-Luhaidan bringen die Königsfamilie Saud immer wieder in Verlegenheit. Saudiarabien wird in einer Art Zweckehe regiert, zwischen der Familie Saud, die die weltliche Macht in den Händen hält, und den konservativen wahabitischen Scheichs, die der Macht der Familie die religiöse Legitimität verleihen.

Aber die Morddrohungen des Scheichs stießen selbst in Saudiarabien auf ein kritisches Echo. „Derartiges fördere nur den Terrorismus“, erklärte Scheich Abdel Muhsen Al-Abikan, ein hoher Beamter im saudischen Justizministerium.

Inzwischen hat Al-Luhaidan versucht, die Wogen etwas zu glätten, indem er vor Selbstjustiz gewarnt hat. Es sei allein eine Angelegenheit der Gerichte, die Besitzer der Fernsehstationen zu verurteilen, wenn diese kein Einsehen zeigten.

Seifenoper regt auf

Es war auch nicht das erste Mal, dass die Scheichs gegen lokale Fernsehsender und deren Programme vorgehen. Schon zu Beginn des Jahres hatte der Großmufti des Landes, Abdul Aziz El-Scheich, eine Fatwa gegen alle Sender erlassen, die die türkische Seifenoper „Noor“ ausstrahlen.

In der Herz-Schmerz-Serie geht es um ein Ehepaar und dessen Versuch, Tradition und Moderne zu versöhnen. Der Mufti bezeichnete die TV-Serie als „subversiv und antiislamisch“. Das Familienbild, das der türkische Gassenfeger transportiert, wird offenbar von vielen arabischen Frauen gewünscht – und von vielen Rechtsgelehrten umso vehementer abgelehnt. Romantische Szenen werden für den arabischen Markt sowieso herausgeschnitten.

Ausgestrahlt wird das Liebesdrama vom Sender MBC, der sich ebenfalls in der Hand saudischer Prinzen befindet. Offensichtlich war auch diese Serie ein Stein des Anstoßes für die Morddrohungen des obersten saudischen Kadis.

LEXIKON

Die in der Türkei produzierte Seifenoper„Noor“ ist im arabischen Raum ein Quotenhit: Laut einer Analyse des TV- Senders MBC erreicht eine Folge 85 Millionen Zuseher, die Hälfte davon sind Frauen. MBC und andere arabische Unterhaltungssender wie Rotana, Orbit oder ART befinden sich im Besitz der saudischen Königsfamilie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2008)

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