Mediengeschichte: Drachen, Prinzen und harte Politik

(c) BilderBox
  • Drucken

Im 16. Jahrhundert entstanden die ersten handgeschriebenen Zeitungen. Die Familie Fugger trug sie zusammen und hinterließ in Wien eine Sammlung von 16.000 Exemplaren.

In den Zeitungen der frühen Neuzeit gab es kontinuierlich Berichte über Drachen, die in Süditalien ihr Unwesen trieben. Irgendwo in der Nähe von Neapel machten die Drachen in den Berichten das, wofür sie bekannt sind: „Sie spien Feuer, verwüsteten Landschaften und fraßen natürlich auch Menschen“, sagt Katrin Keller, Historikerin am Institut für Österreichische Geschichtsforschung Wien. Sie erforschte und digitalisierte die handgeschriebenen Zeitungen der Wiener Nationalbibliothek in einem vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten Projekt.

Von den Handschriften existieren heute noch umfangreiche Sammlungen in Archiven, etwa in Marburg, Dresden, Wolfenbüttel oder München. Doch am bekannteste sind die „Fuggerzeitungen“ in Wien. Die rund 16.000 Zeitungen aus der Zeit zwischen 1568 und 1604 wurden von den Brüdern Octavian Secundus und Philipp Eduard Fugger gesammelt. „Die Brüder schrieben die Zeitungen aber nicht“, sagt Keller. Das sei ein langjähriger Forschungsirrtum gewesen.

Gerüchte und Wahrheiten

Die Zeitungen berichten zwar über Drachen, Wunderzeichen und Himmelserscheinungen, aber zwei Drittel des Platzes nimmt die harte Politik ein. Es geht um Vertragsverhandlungen, Hochzeiten von Fürsten und Prinzessinnen – die damals noch Teil der Realpolitik waren – und um Kriege.

Die Berichterstattung sei betont nüchtern gewesen, sagt Keller, auch bei den Konflikten zwischen den Habsburgern und dem Osmanischen Reich: „Selten kommentierten die Schreiber das Geschehene. Es hieß etwa: 200 Pferde wurden gestohlen und 20 Türken erschlagen.“ Dennoch handelte es sich um keinen objektiven Journalismus, weil auch absichtlich Gerüchte verbreitet wurden, die selten dementiert wurden. Aber gerade bei Kriegen oder konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken, Protestanten und Muslimen hielten sich die Zeitungen zurück.

Die Gazetten traten Ende des 16. Jahrhunderts von Italien aus rasch ihren Siegeszug an. Dort entwickelten die Eliten als Erste ein „Bedürfnis nach aktueller Information“. Der diplomatische Brief genügte nicht mehr. Die Informationsvermittlung musste schneller werden. Die periodische Zeitung konnte zügig – und gleichzeitig – an Adelige, Kaufleute, Stadträte und Klöster versandt werden. Bald übernahm ganz Europa dieses effiziente Gazettensystem.

Die Abonnenten bekamen ihre Zeitung wöchentlich aus den großen Nachrichtenzentren Antwerpen, Rom, Venedig, Köln, Wien und Prag. Wenn sich die kriegerischen oder politischen Ereignisse überschlugen, kurbelten die Zeitungen die handschriftliche Produktion an. Dann berichteten sie mehrmals pro Woche.

In nur drei Jahrzehnten übten die Eliten das Zeitunglesen dermaßen ein, dass die handschriftliche Produktion nicht mehr ausreichte. Der Straßburger Verleger Johannes Carolus begann daher 1605 die Zeitungen zu drucken. Das markierte den Beginn der modernen Presse.

Unendliche viele Geschichten

Die tausenden Zeitungen umfassen beinah unendlich viele Geschichten. Keller sagt: „In der Fuggersammlung tauchen Berichte über das Mittelmeer auf, Geschichten über Entdeckungsfahrten nach Indien, Japan und den Amerikas, oder Erzählungen von den Grenzen des Osmanischen Reiches. Sie erzählen von Kriegszügen im heutigen Brasilien genauso wie von Handelsbeziehungen in Pakistan oder Georgien.“

Die Wissenschaftler haben die Berichte online zugänglich gemacht. Damit können alle Interessierten – Forscher und Laien – die Ur- und Frühgeschichte der Presse erforschen, ohne dazu eigens nach Wien reisen zu müssen. „Wir hoffen, dass möglichst viele Forschungsprojekte folgen werden“, sagt Keller. Genug Material dazu gibt es nun jedenfalls.

Tipp: www.univie.ac.at/fuggerzeitungen/de

Lexikon

Die „Fuggerzeitung“ ist eine handschriftliche Zeitungensammlung aus den Jahren 1568 bis 1604. Sie lagert in der Österreichischen Nationalbibliothek und umfasst ungefähr 16.000 Exemplare. Die Brüder Octavian Secundus und Philip Eduard Fugger abonnierten Zeitungen aus allen Nachrichtenzentren Europas. Die in Augsburg ansässigen Kaufmänner zählten durch die wöchentlichen Berichte zu den informiertesten Männern im Heiligen Römischen Reich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.