"Newstopia": Utopie mit Fernsehüberwachung

Newtopia Sat 1
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In „Newtopia“ beobachtet Sat1 15 „Pioniere“, die ohne Hilfe von außen ein neues Leben aufbauen. Dass sie auch eine „bessere Gesellschaft“ errichten, ist zweitrangig.

John de Mol als Weltenretter? Warum nicht? Auch so kann man sich in einer Fernsehgesellschaft inszenieren, in der der Superlativ das Mindeste ist, womit man sich schmücken sollte, und in der schon frisch Gecastete mit dem Prädikat „Superstar“ oder „Topmodel“ geadelt werden. Sat1 preist de Mols neuesten Coup vollmundig als „das größte TV-Experiment aller Zeiten“ an. Wie will man sonst Zuschauer zu einem Format locken, das sich vorgenommen hat, eine kleine Sippe von Aussteigern ein ganzes Jahr lang dabei beobachten zu wollen, wie sie versuchen, ihre Schicksalsgemeinschaft zu einer besseren Gesellschaft zu formen, als man sie bisher kennt?

Nichts Geringeres ist angeblich das Ziel der neuen Show, die der holländische TV-Unternehmer de Mol an Sat1 verkauft hat. Der Mann, der sich mit erfolgreichen Formaten wie „Big Brother“ oder „The Voice of Germany“ und dem Verkauf seines Unternehmens Endemol in die „Forbes“-Hitliste der 1000 reichsten Menschen der Welt manövrierte, gibt sich auch hier unbescheiden: Er gründet sein TV-Projekt „Newtopia“ auf den Ideen in Thomas Mores politisch-philosophischem Buch „Utopia“. Die 1516 erschienene Fiktion über eine ideale Gesellschaft auf einer fiktiven Insel, die in sozialem, politischem und – trotz verschiedener Religionen – auch in religiösem Frieden lebt. „Ein Ort, an dem alle Menschen glücklich sind. Wo Gleichheit, Überfluss und Zufriedenheit herrschen“, schwärmt de Mol. Alle Versuche, eine solche Gesellschaft zu erreichen, seien „bis jetzt immer ohne Erfolg“ geblieben. Bis jetzt. Wobei: Sollten de Mol und Sat1 wirklich erwarten, dass ihre 15 „Pioniere“ ein Jahr lang in Frieden leben? Für die Einschaltquoten wäre es besser, wenn in „Newtopia“ die Fetzen fliegen. Und weit realistischer ist das auch. Dafür, dass auf jeden Fall die Hüllen fallen, sorgt die karge Ausstattung des Areals, das Sat1 im brandenburgischen Königs Wusterhausen ausgesucht hat: In der leeren Scheune samt Stall gibt es zwar zwei Kühe und 25 Hühner, aber weder Toiletten noch Betten noch Dusche – wer sich ein wenig Körperpflege gönnen will, muss mit dem kalten Teichwasser vorliebnehmen.

Mit 5000Euro Startkapital beginnen die sieben Frauen und acht Männer zwischen 18 und 65 Jahren ein karges neues Leben. Regeln oder Gesetze gibt es nicht – sie müssen erst ausgemacht werden. Sat1 will sich ganz aus dem Geschehen heraushalten, es soll auch keine Regieanweisungen geben.

100 Kameras schauen immer zu

Was immer also geschieht, mehr als 100 Kameras werden es 24 Stunden am Tag aufnehmen, Sat1 stellt das via ununterbrochenem Livestream online und zeigt montags bis freitags um 19Uhr eine knapp einstündige TV-Zusammenfassung. Eine Regieanweisung gibt es aber doch: Einmal im Monat entscheidet das Publikum, wer „Newtopia“ verlassen muss (oder darf), um für jemand Neuen Platz zu machen. In Holland und in der Türkei hat das funktioniert. In den USA wurde „Newtopia“ abgesetzt. Und die bessere Gesellschaft? Die bleibt Utopie.

„NEWTOPIA“ AUF SAT1

Ab 23. Februar sendet Sat1 „Newtopia“: Montag bis Freitag von 19 bis 19.55 Uhr. Ein 24-Stunden-Livestream läuft unter www.newtopia.de.

15 sehr unterschiedliche Kandidaten wurden aus ca. 8000 Bewerbern ausgesucht – darunter eine Supermarkt-Kassiererin, ein Yuppie aus der Werbebranche, eine Veganerin, ein Model. Sie sollen mit 5000 Euro Startkapital ein neues Leben beginnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

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