taz: Das Sprachrohr des alternativen Bürgertums

(c) AP (Reinhold Hügerich)
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Die „taz“ wird 30: Das radikale Szeneblatt der Linken hat sich gewandelt, die Provokation ist verpufft.

Als vor mehr als 30 Jahren in Westberlin eine Gruppe linker Intellektueller und politischer Aktivisten über dem Projekt einer linksalternativen Tageszeitung brütete, hätte wohl keiner gedacht, dass dieses Blatt nicht nur realisiert, sondern die Jahrzehnte überdauern würde. Aber der Traum wurde wahr: Am morgigen Freitag feiert „die tageszeitung“, kurz „taz“ genannt, ihren 30.Geburtstag. Und sie hat viel vor: Auf dem Programm stehen der Relaunch der gedruckten Ausgabe, die Einführung der Wochenendausgabe „sonntaz“, Workshops für angehende Journalisten und ein dreitägiger Kongress am kommenden Wochenende.

„Wir werden den Lesern zeigen, dass wir kein Ein-Generationen-Projekt sind“, verspricht Vizechefredakteur Peter Unfried. Nicht mehr ganz jugendlich, hat die taz an rebellischem Eifer eingebüßt und sich vom radikalen Szeneblatt zum Medium des neuen alternativen Bürgertums gewandelt, parallel zur zunehmenden Verbürgerlichung der linken Szene. Das Etikett „links-alternativ“ würde potenzielle Leser und Käufer abschrecken.

Die Idee, als Gegengewicht zur Mainstream-Berichterstattung eine linke Tageszeitung auf die Beine zu stellen, war bereits in den 60er-Jahren aufgekommen. Konkrete Formen nahm das Projekt im „Deutschen Herbst“ an, als nach der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer durch die RAF die Bundesregierung eine Nachrichtensperre verhängte. Führende Medien übten Selbstzensur.

Einer „Gegenöffentlichkeit“ verpflichtet

Die neue linke Tageszeitung wollte die Nachrichtensperre durchbrechen, sah sich von Anfang an einer „Gegenöffentlichkeit“ verpflichtet. Ihre Kernthemen: Umweltschutz, Bürger- und Frauenrechte, Dritte Welt, Zuwanderungsgesellschaft, Rechte für Homosexuelle. Was damals publizistisches Neuland war, ist heute nicht mehr bloß von explizit linkem Interesse. Inzwischen „hat sich der Begriff der Gegenöffentlichkeit völlig verändert“, so Chefredakteurin Bascha Mika, „heute geht es um Öffentlichkeit gegen den Trend und gegen den Mainstream, weniger um unterdrückte Nachrichten“. Anders als vor 30 Jahren gebe es heute Privatfernsehen und Internet – „aber auch in einer ausdifferenzierten Medienlandschaft sind uns die Themen nicht abhandengekommen, und zum Teil sind es noch dieselben wie vor 30 Jahren.“

„Aktualität wird primär geschaffen, ist nicht vorgegeben“, so das im September 1978 formulierte Motto. Am 27.September wurde die erste Nullnummer produziert, der in unregelmäßigen Abständen weitere Ausgaben folgten. Seit dem 17.April1979 erscheint ohne Unterbrechung die tägliche taz – bald sind es 8900Ausgaben. Die Zeitung blickt auf bewegte Zeiten zurück: Die Redaktionsräume wurden seinerzeit von RAF-Sympathisanten besetzt, von Feministinnen mit Buttersäure verpestet, von der Polizei durchsucht, von Rechtsextremisten mit Bombendrohungen geplagt.

Anfangs war alles „genial dilettantisch“, erinnert sich der Mitbegründer und jetzige Spiegel-Redakteur Michael Sontheimer. Immer wieder vor dem Aus, häufig auf Konfrontationskurs mit der eigenen Klientel, die doch zugleich das Überleben des Blattes zu sichern hatte. 1992 wurde die taz-Genossenschaft gegründet: Das Blatt gehört 8453 Genossen. Nur zehn Prozent der Einnahmen sind Anzeigenerlöse, was in der gegenwärtigen Medienkrise ein großer Vorteil ist. Tägliche Auflage: knapp 60.000Exemplare.

DIE „TAZ“ AUF EINEN BLICK

Halb so alt wie die Bundesrepublik. Die „taz“ gilt nach wie vor als „Lausbub“ unter den deutschen Zeitungen. Als sie vor 30Jahren in Westberlin als linkes Szeneblatt gegründet wurde, markierte dies einen der wichtigsten Einschnitte in der deutschen Presselandschaft. Auflage: knapp 60.000.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2009)

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