"Daredevil": Ein blinder Anwalt kämpft gegen die Gentrifizierung

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daredevil(c) Netflix/Marvel
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Netflix hat mit seiner ersten Comicserie die Latte für das Genre hoch gelegt. Charlie Cox gibt den blinden Rächer, Vincent D'Onofrio brilliert als traumatisierter Unterweltboss Wilson Fisk.

Ja, der April ist ein aufregender Monat für Marvel. Selbstverständlich wegen des neuen "Avengers"-Kinofilms "Age of Ultron" aber auch wegen "Daredevil". Schließlich ist es die erste Fernsehserie um den blinden Rächer aus dem New Yorker Stadtteil Hell's Kitchen. Mit Drew Goddard ("Cabin in the Woods") hat Netflix den richtigen Mann mit der Entwicklung beauftragt. Die erste Staffel, die aus 13 Episoden besteht, ist exzellent. Doch alles der Reihe nach. Der folgende Artikel enthält kleine Spoiler.

Worum geht es in "Daredevil"?

Matt Murdock ist seit seinem neunten Lebensjahr blind. Seine Augen wurden bei einem Unfall auf der Straße mit Chemikalien verätzt. Dafür verfügt der Sohn des Preisboxers "Battlin'" Jack Murdock plötzlich über verschärfte Sinne. Sein Vater wird von einem kriminiellen Geschäftsmann getötet, als er sich dessen Willen widersetzt und einen Kampf gewinnt. So wächst der blinde Junge ohne Vater in Hell's Kitchen, New Yorks einstigem Elendsviertel, auf. Die Serie zeigt in Rückblicken die Beziehung zwischen Vater und Sohn Murdock.

Zurück in die Gegenwart: Matt Murdock (Charlie Cox) hat mittlerweile sein Jus-Studium abgeschlossen und eröffnet mit seinem treuen Studienfreund "Foggy" Nelson (Elden Henson), der von Ruhm und Geld träumt, eine kleine Anwaltskanzlei. Ihre erste Klientin ist Karen Page (Deborah Ann Woll), Angestellte eines Bauunternehmens. Sie soll ihren Arbeitskollegen nach einer rauschenden Nacht getötet haben. Murdock will das nicht glauben. Das ungleiche Anwaltspaar bekommt es mit einem komplexen Veruntreuungsfall zu tun, in dem mehr Parteien (Politik, Wirtschaft und die Mafia: Russen, Chinesen, Japaner) beteiligt sind, als anfangs angenommen ... Derweilen liefert sich Murdock als maskierter "Mann in Schwarz" (in einem selbstgeschneiderten Outfit, noch nicht im klassischen "Daredevil"-Rot) mit der Unterwelt der Stadt knochenharte Auseinandersetzungen. Als er Karen Page auch maskiert hilft, wird klar, dass die beiden Welten für Matt Murdock zu einer lebensgefährlichen Grauzone verschmelzen ...

Was zeichnet "Daredevil" aus?

Die ersten Reviews aus Nordamerika haben die Serie über den Teufelskerl zum Teil in den Himmel gelobt. Ist die erste von Netflix produzierte Comicserie tatsächlich so gut? Ja, sie ist - wie anfangs geschrieben - empfehlenswert. Und man kann endlich den misslungenen Kinofilm abhaken.

  • Die Hauptfiguren: Charlie Cox alias Matt Murdock/Daredevil, bekannt aus "Boardwalk Empire", und sein Gegenspieler, der psychopathische Unterweltboss Wilson Fisk (Vincent D'Onofrio), sind Idealbesetzungen. Vor allem D'Onofrio sticht schauspielerisch hervor.
  • Der Cast: Positiv hervorzuheben sind auch Vondie Curtis-Hall alias Ben Urich, ein Aufdeckerjournalist der alten Schule ("Das Internet, das ist nur Klatsch und Getöse") im Zwiespalt zwischen Idealen und Vernunft, und Rosario Dawson: Sie spielt Claire Temple, eine Krankenschwester, die Murdock nach einem nächtlichen Ausflug in die Unterwelt verarztet.
  • Die Kampfszenen sind exzellent choreographiert.
  • Der Rahmen: Die dunklen Gassen, Fabriken und Kanäle von Hell's Kitchen vermitteln eine düstere Grundstimmung. Die durchaus brutale Noir-Serie "Daredevil" ist deutlich grimmiger als die meisten Marvel-Produktionen der letzten Jahre. Die Serie erinnert in diesem Punkt mehr an die "Dark Knight"-Trilogie.
  • Dialoge: Ganz so humorlos wie die Nolan-Filmreihe ist die Marvel-Serie aber nicht. Sie sind smart geschrieben, vor allem Murdocks Zeilen. Gilt zum Teil auch für seinen Partner Foggy ("In einem richtigen Büro stehen Faxgeräte oder was erfolgreiche Leute sonst so haben").

Was gefällt weniger?

  • Die Dialoge: An manchen Stellen wird der Dialog zwischen Foggy und Karen, die als Dank für die Hilfe als Sekretärin in der Kanzlei arbeitet, etwas flapsig.
  • Frauen: In den ersten Episoden werden die weiblichen Figuren passiv und hilfsbedürftig dargestellt. Im Verlauf der ersten Staffel ändert sich dies aber deutlich, ein umgekehrter Leia-Effekt (Star Wars), wenn man so will.
  • Minderheiten. Wilson Fisk bildet mit Russen, Japanern und Chinesen (Blinde verpacken und transportieren Heroin) ein Verbrechersyndikat. Die Minderheiten in New York werden - bis auf eine hispanoamerikanische Immigrantin - tendenziell als kriminell dargestellt.
  • Finale Folge: Ohne zuviel zu verraten, aber die finalen Sequenzen der letzten Episode der insgesamt famosen ersten Staffel bedienen Klischees.

Wie fällt das Fazit aus?

Ob "Daredevil" nun die beste Comicserie im Fernsehen ist ("Agent Carter" wäre eine andere Kandidatin), ist Geschmacksache. Drew Goddard und Netflix haben jedenfalls die Latte für andere Genre-Produktionen hoch gelegt. Wer eine Fantasy-Serie samt Alien-Inavsion erwartet, wird enttäuscht sein. "Daredevil" ist fast schon bodenständig. Der katholische "Superheld" geht zur Beichte, der Antagonist hat ein frühkindliches Vatertrauma, der alternde Printjournalist ein angespanntes Verhältnis zu Bloggern. Im Fokus stehen realistische Gefahren (Drogen- und Menschenhandel, Machtmissbrauch, Korruption) und reale soziale Ängste (Sorge um Pensionsfonds, Arbeitslosigkeit, horrend steigende Mieten). So gesehen also ein Kampf gegen die Gentrifizierung. Willkommen in Hell's Kitchen.

Alle 13 Episoden von "Daredevil" sind seit 10. April auf Netflix verfügbar.

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