Best of Britain, auch in der Brüssel-Blase

Financial Times
Financial Timesimago stock&people
  • Drucken

Die "Financial Times", soeben an einen japanischen Medienkonzern verkauft, verbindet britischen Qualitätsjournalismus mit einer wahrhaft internationalen Weltsicht.

Keine Industrienation steht dem Verkauf ihrer nationalen Prunkstücke an ausländische Eigentümer so gelassen gegenüber wie Großbritannien. Der Autohersteller Rolls-Royce? In deutscher Hand. Die Londoner Touristenattraktion Madame Tussauds? Gehört einem Investmentarm des dänischen Lego-Konzerns. Der Süßwarenkonzern Cadbury? Geschluckt vom US-Multi Kraft. Und nun ein Filetstück wie die „Financial Times“ („FT“): Für den stolzen Preis von 844 Millionen Pfund (1,2 Milliarden Euro) ging die 1888 in London gegründete Zeitung an den japanischen Medienkonzern Nikkei, der vor allem die Tageszeitung „Nihon Keizai Shimbun“ (Japanische Wirtschaftszeitung) herausgibt. „1,5 Millionen Pfund pro ,FT‘-Journalist“, twitterte der Leiter der Lex-Kolumne, Robert Armstrong. „Ein verdammt gutes Geschäft.“

Tatsächlich bekommt der neue Eigentümer nicht nur eine der stärksten Medienmarken der Welt, sondern er übernimmt auch ein qualitativ herausragendes Produkt. Die „Financial Times“ verbindet in einzigartiger Weise die Traditionen des britischen Qualitätsjournalismus mit einer internationalen Ausrichtung. Wobei sie stets klarstellte, dass sie für freie Märkte und Globalisierung eintritt. In den Achtzigerjahren stellte sich die „FT“ dezidiert hinter die monetaristische Politik von Thatcher und Reagan, sie unterstützte allerdings zeitweise auch die Labour Party, etwa bei den Wahlen 1992. Bis heute jedenfalls erscheinen ihre Kommentare unter ihrem Leitmotiv „Ohne Furcht und ohne Bevorteilung“.

Lektüre der City. Die „Financial Times“ galt dank ihres Fokus auf Wirtschaftsinformationen lang als die Lektüre der Londoner City schlechthin. Das ist sie immer noch. Doch längst hat sie sich zu der vielleicht einzigen erfolgreichen globalen Tageszeitung entwickelt. Neben einer starken Präsenz in Asien und den USA wurde die „Financial Times“ über die Jahre auch in Brüssel zur absoluten Pflichtlektüre.

Wer in den europäischen Institutionen tätig ist, kann es sich de facto nicht leisten, das (seit 1893) lachsfarbene Blatt nicht zu lesen. Aufgrund ihrer internationalen Ausrichtung erfüllt die „Financial Times“ die Funktion einer Zeitung für ganz Europa (bzw. für die europäischen Entscheidungsträger). Zugleich dient sie der EU-Kommission als Versuchsballon: In schöner Regelmäßigkeit veröffentlicht sie exklusive Vorabmeldungen aus der Brüsseler Behörde – sei es im Blatt oder online im „Brussels Blog“. Anhand der Reaktionen lassen sich die Erfolgsaussichten gezielt gestreuter Initiativen abschätzen.

Im Zugang zu vertraulichen Informationen kann es so gut wie niemand mit den „FT“-Reportern aufnehmen – wobei es seit Frühjahr mit dem Brüsseler Ableger des US-Nachrichtenportals „Politico“ (an dem der Axel-Springer-Verlag, der um die „FT“ mitbot, beteiligt ist) einen ernsten Konkurrenten gibt. Allerdings konzentriert sich „Politico“ auf gehobenen Klatsch und Tratsch. Für alle, die in der „Brussels Bubble“ am eurokratischen Glücksrad drehen, mögen derartige News essenziell sein, doch außerhalb von Brüssel sind sie von beschränkter Relevanz. Die Tatsache, dass die „FT“ Einblicke ins Innerste der EU mit Finanznachrichten kombiniert, macht sie hingegen zur ersten Informationsquelle über Brüssel hinaus.

Schneller als andere Zeitungen hat die „FT“ auch gelernt, die Digitalisierung zu meistern. Von der Tagesauflage von 737.000 Stück sind nur mehr 200.000 Druckexamplare, der Rest sind zahlende Leser im Internet, auf dem Tablet oder dem Smartphone. Der bisherige Eigentümer, Pearson, hat die redaktionelle Unabhängigkeit immer hochgehalten, zugleich aber einen beinharten Sparkurs gefahren. Oft war man gezwungen, innovative Lösungen zu finden, wenn andere Eigentümer investierten. Heute macht die Zeitung wieder Gewinn. Der Ex-Außenpolitikchef des Blattes, Quentin Peel, sagt zur „Presse“: „Eines unserer größten Talente war es oft, eine Maus zu sein, aber wie ein Löwe zu brüllen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.