"Ö1 ist eigentlich gar kein richtiger Sender"

Alexander Wrabetz
Alexander WrabetzORF/Thomas Ramstorfer
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ORF-General Alexander Wrabetz spricht im Interview über seine Bewerbung zur ORF-Wahl, umstrittene Hearings und die ausstehende Ö1-Reform.

Wann werden Sie Ihre Kandidatur als ORF-General offiziell bekannt geben?
Alexander Wrabetz: Noch ist es nicht so weit – die Geschäftsführungsperiode läuft noch 15 Monate. Und in dem Moment, wo man eine Kandidatur offiziell bekannt gibt, beginnt rund um den ORF ein Wahlkampf. Wir haben noch genug Arbeit vor uns.

Nicht nur im ORF-Wahlkampf kommt die Politik mit ihren Wünschen zum ORF. Zuletzt gab es auch Diskussionen wegen Personal-Hearings. Wa släuft da schief?
Das Procedere der Hearings im Rahmen von Stellenbesetzungen ist optimierbar, da sind sich Betriebsrat und Geschäftsführung einig. Daher werden wir das auch gemeinsam neu aufsetzen. Abgesehen davon läuft gar nichts schief. Ich habe seit 2010 etwa 130 Bestellungen in höheren Gehaltsgruppen und Leitungspositionen vollzogen, etwa die Hälfte davon in der Redaktion, und in drei oder vier Fällen war meine Entscheidung nicht ident mit der Abstimmung in der Redaktion, zwei- oder dreimal habe ich abweichend vom Vorschlag des Direktors entschieden.

Aber wenn, dann hat das immer einen politischen Background – z. B. bei der Bestellung von SPÖ-Wunschkandidat Edgar Weinzettl zum Radio-Innenpolitik-Chef.
Je nachdem, wie man es sieht. Wenn man sagt: In dem Moment, wo es nicht die Meinung der Redakteure oder eines Direktors ist, ist es was Politisches, dann steht Behauptung gegen Behauptung. Insgesamt haben sich doch alle umstrittenen Bestellungen der Vergangenheit im Nachhinein als sehr gut herausgestellt. Edgar Weinzettl macht einen sehr guten Job. Auch bei der Bestellung von Fritz Dittlbacher gab es damals Diskussionen mit Informationsdirektor Elmar Oberhauser – und niemand zweifelt heute die Arbeit des TV-Chefredakteurs an.

Was ist mit den vom Management ausgerichteten Hearings? Die sind scheinbar eine reine Beschäftigungstherapie. Warum entscheidet nicht gleich der Chef?
Das war ein aus dem Gleichstellungsgedanken heraus entwickeltes Instrument, um speziell Frauen eine Bühne zu geben, sich zu präsentieren. Durch die ständige öffentliche Diskussion bekommen diese Hearings aber eine übermäßige Bedeutung und eine seltsame Konnotation. Das müssen wir wieder in den Normalzustand zurückführen. So ein Hearing ist ja nur eine Komponente, nach der in Personalfragen entscheiden wird. Es kann ja nicht sein, dass die 15 Minuten, in denen sich ein Kandidat vor den Assessoren präsentiert, die jahrelangen Erfahrungen des Managements mit der Bewerberin oder dem Bewerber aushebelt.

Vor einem Jahr haben wir bereits im Interview über den vakanten Ö1-Chefposten und die Ö1-Strukturreform gesprochen. Wieso geht da immer noch nichts weiter?
Laut Radiotest ist Ö1 auf seinem Höchstniveau, das heißt: An den Hörern geht diese Diskussion geräuschlos vorbei. Vor allem, weil wir dort sehr gute Leute haben, der interimistische Leiter Peter Klein macht das sehr gut. Das zweite ist: Ö1 hat kein tagesaktuelles Problem, aber unser Aushängeschild im Radio für den ganzen Kultur- und Informationsbereich braucht eine neue Organisationsstruktur, die klarer auf den Kanal ausgerichtet ist. Das Channel-Management-Prinzip. De facto ist Ö1 derzeit, so erfolgreich es ist, ein Sender, der von fünf Hauptabteilungen bespielt wird: Information, Kultur, Wissenschaft, Gesellschaft und Religion. Der Leiter ist eigentlich nur ein Koordinator, Ö1 also gar kein richtiger Sender. Das funktioniert zwar bisher, aber es kann so nicht bleiben. In der Sache ist die Neuordnung der Ö1-Organisation gar nicht kompliziert, aber ich möchte das im Einvernehmen mit dem Hörfunk-Betriebsrat machen. Und das hat etwas länger gedauert.

Sie starten in das ORF-Wahljahr mit einer neuen Fußball-App. Was kommt noch?
Die Fußball-App soll als Second-Screen-Applikation ein umfassendes Angebot für alle Fußballfans sein, natürlich auch als Website. Neben Flimmit, der Plattform für österreichischen und deutschsprachigen Film, bereiten wir eine Klassik-Streaming-Plattform vor – gemeinsam mit dem Klassik-Produzenten Unitel, vielleicht kommen noch weitere internationale Partner dazu. Und wir starten ein neues, junges Info-Angebot für ORF eins, ebenfalls als Online-Plattform.

Was wird man am Kultur-Portal sehen?
Wir wollen die Archiv-Schätze zugänglich machen, die der ORF, aber auch die Unitel und mögliche weitere Partner haben. Das wird das Portal, wo man 60 Jahre Opern- und Konzertgeschichte anschauen kann, wobei auch laufend neue Produktionen dazu kommen. Derzeit nehmen wir im Jahr etwa zehn neue Opern- und Konzertaufführungen auf, aber wir wollen die Schlagzahl dann erhöhen. Wir haben gerade bei einem Konzert in Grafenegg einen neuen Produktionsstandard getestet, der günstiger, aber qualitativ auch gut ist. Damit könnten wir mehr produzieren. Das wird ein Portal für den wirklichen Kulturfreund, jene etwa 800.000 Österreicher, die zwischen ORF III und Ö1 hin und her pendeln und diese Angebote regelmäßig nutzen.

Wann startet das ORF eins Info-Portal?
Das ist schon in der Testphase und sollte im Oktober starten. Es wird eine neuartige Verbindung zwischen klassischer TV-Information und webbasierter Internet-Information sein. Der Arbeitstitel lautet „m-eins“. Die Idee basiert auf dem, was Lisa Totzauer mit ihrem Team rund um die „Wahlfahrt“ gemacht hat. Die haben ein tolles Angebot mit datenjournalistischen Ansätzen gehabt – bei der Europa-Wahl war das exemplarisch gut. Da ist es mit einer sehr geschickten Nutzung von Social Media gelungen, an Publikumsschichten heranzukommen, die man mit der klassischen Information schwer erreicht.

Sind die neuen Angeboten kostenlos?
Das neue Fussball-Angebot wird selbstverständlich weder im Web noch als App was kosten, auch die Plattform m-eins wird frei zugänglich sein. Für das Kultur-Portal wird es Bezahlmodelle geben, wie bei Flimmit.

Wird es die geplante Allianz von ORF und Privat-TV-Sendern gegen Google, Facebook und YouTube geben?
Wenn ich die Reden höre, dann scheinen wir uns einig zu sein, dass der gemeinsame Gegner oder Herausforderer Google und Co. sind. Am Verhalten hat das noch nichts geändert. Und ein bisschen sind die Vorstellungen des Privatsender-Verbandes dann so als wären sie das Huhn, das zum Schwein sagt: Lass uns zusammenarbeiten, machen wir Ham and Eggs! Aus der Sicht des Huhns ist das ja okay.

Die Privatsender machen auch wieder Vorwahl-Diskussionen, sie senden Frühstücks-TV und News. sollten sie dafür nicht eine Förderung erhalten – z. B. aus der Haushaltsabgabe?
Privatsender werden ja bereits finanziell gefördert von der RTR. Der öffentlich-rechtliche Auftrag ist aber unteilbar. Es hat sich als europäisches Erfolgsmodell herausgestellt, dass ein Unternehmen unter demokratischer Kontrolle öffentlich-rechtliche Aufträge im Dienste der Allgemeinheit durchführt. Was wäre denn das Gegenmodell? Dass jeder, der von sich behauptet, dass er das auch
machen will, sich um Geld anstellen kann? Die österreichischen Privatsender haben ja an sich ein sehr gut funktionierendes kommerzielles Geschäftsmodell, Puls 4 gehört zu einem der profitabelsten Konzerne Europas, wieso sollen die zusätzliche öffentliche Förderungen bekommen?

Wie lange wird denn der ORF mit der derzeitigen Finanzierung auskommen?
Laut Gesetz ist eine Evaluierung alle fünf Jahre verpflichtend – der Zeitraum endet 2016. Derzeit gibt es noch keine konkreten Überlegungen dazu.

Ein großes Thema in unserer Gesellschaft sind die derzeitigen Flüchtlingsströme. Viele helfen. Was tut der ORF?
Wir hatten schon in den vergangenen und haben auch in den kommenden Wochen viel zum Thema Flüchtlinge im Programm. Morgen, am Dienstag, gibt es einen 90-minütigen „Österreich Report“, da wollen wir uns damit auseinander setzen, welche Herausforderungen die große Zahl von Zuwanderern bringt, welche Risiken, aber auch welche Chancen. Wir machen da bewusst keine Spenden-Gala, sondern wollen das Thema umfassend und wertfrei beleuchten. Zusätzlich starten wir ebenfalls morgen gemeinsam mit den großen Hilfsorganisationen die Aktion „Helfen. Wie wir“, wo wir versuchen, gezielt zu informieren und die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung zu kanalisieren, zum Beispiel Wohnungs-Angebote zu koordinieren. Da haben wir vor allem ein Ziel: Dass zu Weihnachten kein Flüchtling in Österreich obdachlos ist oder im Zelt schlafen muss.

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