Biber: „Schwabo-Männer“ und wilde Suren

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ein Magazin für junge, in Wien geborene Migranten fehlte, fand Kravagna vor zehn Jahren – und erfand „Biber“. Ein Gespräch über den Reiz des Culture Clash, „Sex im Islam“ und offenere Leserinnen.

Im Jahr 2005 war Simon Kravagna Innenpolitik-Redakteur beim „Kurier“ – und wunderte sich über eine unübersehbare Marktlücke: „Damals war Gemeinderatswahlkampf in Wien – und die Politik war ein bisschen weiter als die Medien: Jede Partei, damals noch mit Ausnahme der FPÖ, hatte Migrantenkandidaten.“ Kravagna recherchierte eine Story über den Parallelwahlkampf in dieser Zielgruppe, „ohne die man in Wien keine Wahl gewinnen kann“ – und traf auf Journalisten von türkischen, serbischen oder bosnischen Medien, die in Wien erscheinen. „Diese Ethnozeitungen schreiben für die Gastarbeitergeneration. Ich hatte den Eindruck, sie können niemanden ansprechen, der unter 30, in Wien geboren oder zumindest groß geworden ist und der besser Deutsch als seine Muttersprache spricht.“

Im Jahr darauf kam „Biber“ zum ersten Mal heraus: ein Gratismagazin, das junge Migranten ebenso anspricht wie Österreicher, die sich dafür interessieren, wie jene leben und denken. Eben ist die Jubiläumsausgabe erschienen – in einer Auflage von 85.000 Stück, mit einem Kanzlerinterview in Zahlen („Wie oft bekommen Sie im Monat Liebesbriefe von Fans?“ Ein Foto zeigt Christian Kern mit drei ausgestreckten Fingern), einer Reportage über eine Hadsch nach Mekka und – als Beitrag in der Kategorie „Best of“ der vergangenen zehn Jahre – dem Nachdruck einer Satire zum Thema „Was ist dran am Schwabo-Mann?“, die vor sieben Jahren bereits in „Biber“ erschienen ist. Švabo, das ist der serbokroatische Ausdruck für Deutschsprachige – quasi die Retourkutsche für den „Tschuschen“, meist aber netter gemeint. Inhaltlich gibt's im Heft wie immer eine wilde Mischung. Größter Aufreger des Jahrzehnts war die Story „Sex im Islam und die Sure der Leidenschaft“, die man auf der Website online nachlesen kann: „Das Telefon hat ständig geläutet. Es waren durchwegs Männer dran, die uns entweder bedroht haben oder entsetzt waren.“ Die Folge? Eine Sicherheitstüre.

„Wir schreiben auf Deutsch über Themen, die Migranten interessieren“, sagt Kravagna. „Es geht immer um Identität: Wer bin ich eigentlich? Wann ist man ein echter Österreicher – und will ich das überhaupt sein? Viele fühlen sich zwar in Wien zu Hause, sind aber noch nicht ganz in Österreich angekommen.“ Und wer will das lesen? Das hat sich „Biber“ auch gefragt und in einer Umfrage 800 Leser befragt. „Der durchschnittliche ,Biber‘-Leser ist eine Leserin“, sagt Kravagna. „Sie ist 28 Jahre alt, gebildet und hat einen Balkan-Background.“ Die Frauen unter den Migranten hätten einfach „mehr den Zug zum Tor“, findet der Herausgeber und Chefredakteur: Auch 80 Prozent der Bewerberinnen für die Biber-Akademie, in der junge Journalisten ausgebildet werden, sind Frauen. „Diejenigen, die sich interessieren, die offener und karrierebewusster sind – auch unter den Muslimen – sind die Frauen.“ Allerdings, räumt Kravagna ein, bleiben manche unerreicht: „,Biber‘ spricht nicht die türkische Hausfrau an, die drei Kinder hat und zu Hause sitzt.“

Neben der Akademie, in der junge Journalisten drei Monate lang ausgebildet werden (zwei Monate bei „Biber“, einen Monat lang in einem Praktikum bei einem anderen Medium), hat der Verlag auch noch andere Standbeine – u. a. ein Marktforschungs-Panel, wo 5000 Migranten erfasst sind. „Wir können Umfragen machen und Daten für diese Zielgruppe liefern.“ Die Kreativ-Unit von „Biber“ macht auch Werbekampagnen bzw. berät Agenturen. „Wir haben das Wissen über die Zielgruppe der Migranten – und wir haben den Zugang zu ihnen.“ Mehrmals im Jahr veranstaltet „Biber“ Projektunterrichtswochen in Schulen – die besten Schülerarbeiten, die dabei entstehen, landen im zweimal jährlich erscheinenden „Biber Newcomer“, der sich an unter 19-Jährige richtet.

Hund als Freund: Kurios für Syrer

Kravagna versucht, die Redaktion ständig zu erneuern. „Wir suchen derzeit verstärkt Journalisten, die einen afghanischen oder syrischen Background haben.“ In der Septemberausgabe wundert sich der 26-jährige Zakarya Ibrahem, ein Flüchtling aus Damaskus, über die „fünf Unterschiede zwischen Syrien und Österreich“ – darunter, dass Hunde hier als „bester Freund“ quasi zur Familie gehören. Culture-Clash-Geschichten wie diese machen „Biber“ auch für Österreicher interessant, ist Kravagna überzeugt. „Wir sind kein Ghettomagazin und wollen es auch nicht sein.“ Dafür hat er auch schon die nächste Marktlücke entdeckt: „Ich wäre in zehn Jahren gern in einer deutschen Stadt. Ich glaube, dass ,Biber‘ eines der wenigen österreichischen Medien ist, die auch in Deutschland funktionieren würden. Mich wundert, dass das noch keiner gemacht hat. Falls also jemand Lust und Geld hat . . .“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2016)

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