Die US-Medien im Flagellantenmodus

Die Medienblase und die wahre Welt da draußen
Die Medienblase und die wahre Welt da draußenAPA/AFP/JOSEP LAGO
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Die Ost- und Westküsten-Medien der USA entpuppten sich als "Blase" ohne Bodenhaftung. Sie haben offenbar den Kontakt mit der Masse der Bevölkerung abseits der linksliberalen Moral-Elite verloren.

Die Zeitungs- und TV-Redaktionen der USA werden für die nächsten Jahre ziemlich entvölkert sein, wenn es nach einer Reihe von US-Chefredakteuren geht. Das liegt diesfalls aber weniger an den Schockwellen der Werbekrise und den grundsätzlichen ökonomischen Problemen der konventionellen Medien als an jenen, die das Nicht-Voraussehen des Sieges Donald Trumps bei der Präsidentenwahl ausgelöst hat. Der Katzenjammer ist jetzt gewaltig, das Wehklagen reichlich - doch groß die Entschlossenheit, es nun anders zu machen.

"Diese Stadt hat keinerlei Berührungspunkt mit Amerika." Sagt CNN-Moderator John King, vielen auch in Europa aus der Wahlnacht bekannt, über die Hauptstadt Washington. Andere stimmen zu: New York, die ganze Ost- und Westküste, deren Medien seien doch nur eine einzige Blase. Und wer den Kontakt mit dem anderen - vielleicht gerade "eigentlichen" - Amerika verloren habe, der habe auch nicht sehen können, auf welchem Boden Trump habe gedeihen können und wie das Land eigentlich tickt.

"Entdeckung" des eigenen Volkes nötig

"Wir müssen viel besser sein, die tiefen Teilungen zu erklären, die in Amerika existieren. Wir müssen viel besser darin werden, über die Leute zu schreiben, die Trump wählten. Was sie antreibt, über ihre Ängste. Wir brauchen mehr Kontakt", sagt nun etwa der Chefredakteur der "New York Times", Dean Baquet, dem Portal Politico. "Die wichtigste Geschichte, um die wir uns in den kommenden Jahren kümmern müssen, ist, die Welt der Arbeitenden besser zu verstehen, und warum sie sich von Kräften wie der Globalisierung und dem technologischen Wandel abgehängt fühlen", sagt Baquet. Gerade seiner, für gewöhnlich eigentlich gut informierten Zeitung hingen viele europäische Medien immer regelrecht an den Lippen.

Sein Kollege Marty Baron von der "Washington Post" warnt davor, Berichterstattung weiter vor allem auf Annahmen zu bauen. "Wir müssen wirklich vorsichtiger sein. Eine Menge unserer Annahmen haben einfach nicht gestimmt", sagt Baron. "Wir müssen mehr raus und mit mehr Leuten reden. Man hätte die Sorgen und Nöte der Arbeiterklasse sehr wohl entdecken können, bevor es den Kandidaten Trump gab."

Ideologische und thematische Scheuklappen

Fast niemand hat dieses Wahlergebnis kommen sehen, auf abweichende Umfragen und skeptische Hinweise auch innerhalb von Redaktionen wurde zu wenig gehört. Jim Rutenberg von der "New York Times" geht mit der eigenen Zunft streng ins Gericht: "Die meisten Journalisten sind blind gegenüber Themen wie Religion oder ländlicher Bevölkerung, und sie sind gegenüber armen Weißen ebenso voreingenommen wie gegenüber der Arbeiterklasse."

Also: Wer nur darüber lacht, was er nicht versteht, kommt auch in keine inhaltliche Auseinandersetzung - sondern bleibt in seiner medialen "Echokammer" großteils Gleichgesinnter.

Auch Österreich ist keine Redaktionsstube

All das sind späte Einsichten, welche indes auch kritische Stimmen in Europa an sich schon jahrelang eingemahnt hatten: Ein Land und das Gros seiner Bevölkerung ticken einfach nicht zwingend so, wie man es sich in den Belegschaften vor allem der hauptstädtischen Redaktionsstuben - auch solcher in Wien - so vorstellt oder gern hätte. Weltsichten und Haltungen sind "dort draußen" oft deutlich anders, und bestimmte Themen, die viele Medien mit Vorliebe beackern, gehen häufig am Interesse wesentlicher Mehrheiten vorbei oder verfehlen diese aufgrund des redaktionell-politischen Tonfalls.

Leider seien diesbezüglich auch medien-interne Mahner, die vor der Gefahr bzw. dem späteren Fakturm so einer Entkoppelung gewarnt hatten, häufig ignoriert, wenn nicht belächelt oder gar einschlägig abgestempelt worden, hört man nun.

Um bei den USA zu bleiben: Es würde wenig bringen, sagt Rutenberg, jetzt scharenweise Reporter raus ins "Flyover Country" zu jagen: "Flyover Country" ist in den USA ein Begriff für die gewaltige Landmasse zwischen den Küsten. Der Teil des Landes also, über den man immer nur hinwegfliegt, man aber selber noch nie war.

Keine "Kundschafter" im Herzland der USA

Das Problem: Die meisten Medien sind in den USA nun mal an den Küsten konzentriert. "Dank des rapiden Niedergangs der regionalen und lokalen Zeitungen", sagt Alec McGillis von ProPublica, "weiß kein Mensch mehr wirklich, was in diesen Orten eigentlich vor sich geht."

Viel mehr als um schlichte Besuche einzelner Orte gehe es darum, den Seelenzustand dieses Herzlandes zu erfassen, sagt Rutenberg. Der sei offensichtlich so gewesen, dass den Menschen die Themen Trumps so wichtig waren, dass an ihnen auch alle Faktenchecks abprallten, alle kritischen Porträts, alle Auflistungen der Fehler. Als hätten die Medien nicht verstanden, worum es eigentlich geht.

"Vergaßen die eigentlichen Sorgen der Leute"

Katrina vanden Heuvel von "The Nation" stößt ins gleiche Horn. "Die Medien haben sich so darauf konzentriert, Trump zu beschreiben, dass sie die eigentlichen Sorgen der Leute völlig vergessen haben." Das könnte ein schwerer Kollateralschaden der Personalisierung sein, eines der großen Trends auch der politischen Berichterstattung der vergangenen Jahre.

"Medien sind Repräsentanten einer bestimmten Klasse. Sie sind keine nationale Institution mehr", sagt Gawker-Gründer Nick Denton. Das könnte zu einem Paradoxon führen. "Die Leute sehen die Medien als Säulen eines elitären Systems, das sie gerade abgelehnt haben", meint die frühere "New York Times"-Chefredakteurin Jill Abramson. Wenn jetzt mehr Vertreter eben dieses Systems zu ihnen kämen - warum und worüber sollten sie mit ihnen reden?

Selbstbezichtigungen? Gut und schön, sagt die famose Margaret Sullivan von der Washington Post. Aber Bangemachen gelte nicht, auch wenn Trump Medien wüst beschimpft und ihnen Klagen in Aussicht gestellt hat. Mehr denn je brauche ein Präsident Trump journalistische Begleitung. Aber stärker, mutiger und mit geraderem Rücken, als sie jemals war.

Trump bitte nicht weichspülen!

Was nun keinesfalls passieren dürfe, sagt Sullivan, sei jede Form eines raschen Weichspülens des früheren Kandidaten. Gestern Hetzer, heute Staatsmann a la "Trump wird vielleicht halb so schlimm", im US-Fernsehen ist das schon zu besichtigen. Sie mahnt journalistische Grundtugenden an. Härte, Tiefe, Kenntnis, Fairness. "Nachrichten kosten Geld", sagt Sullivan. "Und Prozesse auch. Wir werden es brauchen."

(APA/DPA Martin Bialecki)

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