TV-Beobachtungen

"Kontext" statt "Klartext": Martin Thür zurück im Fernsehen

Martin Thür im Gespräch mit der ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin.
Martin Thür im Gespräch mit der ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin. Addendum/Kontext
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Ex-ATV-Moderator Martin Thür hat am Donnerstag sein Bildschirmdebüt bei seinem neuen Arbeitgeber. Für "Addendum" gestaltet er in der Reihe "Kontext" eine Doku über Regierungsbildungen in Österreich.

Im Schnitt 60 Tage vergehen in Österreich vom Wahltag bis zur Angelobung einer neuen Regierung. Auch wenn es in der Geschichte der Zweiten Republik manchmal kürzer, mitunter sogar viel länger gedauert hat, ahnen wir: Wir stehen erst am Anfang dieses "Koalitionspokers", der nach jeder Wahl beginnt. Um den dreht sich die aktuelle Ausgabe der Reihe "Kontext" auf Servus TV - und sie ist zugleich Bildschirmdebüt eines bekannten Fernsehgesichts auf einem neuen Kanal: Martin Thür verließ vor dem Sommer den Privatsender ATV und dockte kurz darauf bei Michael Fleischhacker und seinem neuen, von Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz finanzierten Medienprojekt "Addendum" an. Seit Mitte September bespielt das mittlerweile fast 50-köpfige, in Wien ansässige Team von "Addendum" eine eigene Webseite mit einem Wochenthema, das jeweils mit einer provokanten Fragen eröffnet wird ("Ist Demokratie wirklich eine so gute Idee?", "Gibt es ein Recht auf Asyl?") und dann in bisweilen unübersichtlich vielen Kapiteln sehr dicht Fakten aufbereitet. In der Sendereihe "Kontext" liefert das Team zusätzlich jeden Donnerstag eine Doku zum Wochenthema.

In dieser, der vierten Woche geht es um "Demokratie" und Martin Thür führt fast 50 Minuten durch die filmische Reportage zu Koalitionsverhandlungen generell und der aktuellen im Speziellen. Der routinierte Moderator trifft auf vergangene und gerade noch Regierungsmitglieder, auf frühere Landeshauptleute, wie den steirischen SPÖ-Landeschef Franz Voves, dem einzigen SPÖ-Bürgermeister in Vorarlberg, Experten wie dem Wirtschaftsforscher Bernhard Felderer - und setzt sich mit ihnen ins Bild, so ähnlich wie er das schon in seiner Talksendung "Klartext" auf ATV gemacht hat. Diesmal mehr als interessierter Zuhörer als Fragesteller. Der ehemalige SPÖ-Abgeordnete Josef Cap hat beim Interview für diese Sendung vermutlich noch nicht gewusst, dass sich sein Vorzugsstimmenwahlkampf diesmal nicht ausgegangen ist.

Karmasin: "Es wird einem alles negativ ausgelegt."

Sophie Karmasin, gerade noch parteifreie Familienministerin ohne Hausmacht im ÖVP-Team, tut, wonach ihr fast vier Regierungsjahre lang war: Sie lässt ihrem Zorn über langwierige Verhandlungen ohne Ergebnis freien Lauf und erklärt, dass einem im politischen System der authentische, ehrliche Auftritt "von vielen Gruppen, inklusive den Medien, sehr übel" genommen wird. "Man kann nicht nach dem Ministerrat rausgehen und sagen: Wisst's was, das war wieder richtig mühsam heute. Da ist nichts weitergegangen, meine Punkte sind nicht einmal zur Sprache gekommen, ich bin eigentlich wirklich angefressen. Das System antwortet mit: Die ist aber schwach." 

Thür agiert als Erzähler im Off, aber auch als Experte, der komplexere Fragestellungen an Hand von eingeblendeten, animierten Tortengrafiken erklärt oder sich mit Flipchart in den mittlerweile geschlossenen, weil im Umbau befindlichen großen Plenarsaal im Parlament stellt. Seine Erzählung geht zwar von der aktuell geschlagenen Wahl aus; er beleuchtet das Thema aber abseits der aktuellen Lage und zieht immer wieder Parallelen oder Verbindungen zur Vergangenheit.

Insgesamt ist das ästhetisch und akustisch anspruchsvoll gemacht. Ein kleines Highlight sind die Zeitlupen-Einstellungen der jubelnden, großteils türkis gewandeten Kurz-Fans bei der ersten Hochrechnung am Wahlsonntag. Allerdings ist man die langsamere, weniger aktuell getriebene Erzählweise nach diesem wochenlangen (Fernseh)Wahlkampf fast nicht mehr gewöhnt. Der Overkill an Sendungen hat etwas müde gemacht, dabei gäbe es in dieser Doku einiges Neues zu hören. Dem Thür erzählen aktuelle und ehemalige Protagonisten des Politbetriebs erstaunlich offen Insider-Details, die sonst selten vor laufender Kamera ausgeplaudert werden. Aber wenn Deutschland gerade auch mitten in so einem Koalitionspoker steckt und sich Servus TV durchaus selbstbewusst an ein (süd)deutsches Publikum richtet, hätte man das Thema geografisch aufmachen können.

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