Diskussion: "Wir haben einen Unqualitätsjournalismus"

haben einen Unqualitaetsjournalismus
haben einen Unqualitaetsjournalismus(c) Clemens Fabry
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Trotz der Affäre um die Beschlagnahme von ORF-Material wird der Schutz für Journalisten als ausreichend betrachtet. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie man unseriöse Berichte verhindert.

Wien. „Sind die Rechte von Opfern und Zeugen auch ausreichend geschützt? Und dürfen wir diskutieren, ob die Ermittlungen des Staates durch den Missbrauch des Redaktionsgeheimnisses nicht untergraben werden?“ Gerhard Jarosch, Präsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte, verwies darauf, dass das Redaktionsgeheimnis eine Kehrseite habe. Man müsse es auch aus dem Blickwinkel des Opfers betrachten, betonte Jarosch beim letztwöchigen „Rechtspanorama am Juridicum“. Anlass für das diesmalige Thema bei der von der „Presse“ und der Wiener Jus-Fakultät veranstalteten Diskussionsreihe war die Skinhead-Affäre im ORF.

Der konkrete Anlassfall lief dabei etwas aus dem Ruder: „Es ist den Medien in seltener Einigkeit gelungen, den Sachverhalt so verzerrt darzustellen, dass sich niemand mehr ausgekannt hat“, scherzte Gottfried Korn. Er vertritt als Anwalt den ORF, betonte aber, in der Diskussion in seiner Eigenschaft als Wissenschaftler aufzutreten. Tatsächlich dreht sich die Affäre um den Vorwurf gegen einen ORF-Redakteur, Skinheads zum Verstoß gegen das Verbotsgesetz angestiftet zu haben. Bei einer FPÖ-Veranstaltung am 12. März sollen sie Nazi-Parolen gerufen haben. Es war die Abschlussveranstaltung der Partei vor den niederösterreichischen Gemeinderatswahlen. Der ORF gab das Material des Drehtages freiwillig heraus. Auf diesem fand sich nichts Relevantes. Zeugenaussagen führten aber dann zum Verdacht, dass die Äußerungen bereits zuvor in einem Wiener Innenhof gefallen sein könnten. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt forderte nun vom ORF, das gesamte Drehmaterial herauszugeben, der ORF berief sich auf das Redaktionsgeheimnis. Das Landesgericht Wiener Neustadt entschied für den ORF, das Oberlandesgericht Wien aber für die Beschlagnahme. Das sorgte für Riesenproteste des ORF. Inzwischen liegt die Causa beim Obersten Gerichtshof.

„Zweck des Redaktionsgeheimnisses ist der Informantenschutz und der Schutz des Journalismus überhaupt“, analysierte Christoph Grabenwarter, Professor an der WU und Verfassungsrichter. Das österreichische Redaktionsgeheimnis fuße auf der Europäischen Menschenrechtskonvenion. „Wir haben hier ein sehr leistungsfähiges Grundrecht“, so Grabenwarter. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wiege in allen Fällen sehr genau zwischen den Interessen der Journalisten und dem Interesse des Staates an der Strafverfolgung ab, berichtete Grabenwarter aus der Praxis. Und zu tun gibt es in dem Bereich neuerdings viel: „Die Rechtsprechung des EGMR ist in den letzten Monaten explodiert.“

Schneller Weg zum Höchstgericht?

Braucht es nun eine Änderung im österreichischen Recht? „Ich sehe keinen akuten Bedarf, das Redaktionsgeheimnis stärker zu verankern“, erklärte Michael Fleischhacker, Chefredakteur der „Presse“. Die ORF-Causa sei dafür auch ein unpassender Fall, zumal es hier nicht um den Informantenschutz gehe. Problematischer sei die Vernehmung von Journalisten in einem anderen Fall (nach einem deutschen Rechtshilfeersuchen) gewesen. Hier habe die Justiz den Fehler aber wenigstens schnell erkannt. „Vielleicht ist unser Gesetz also doch nicht so schlecht“, meinte Fleischhacker und warnte zugleich: Wenn es zu einer Neuregelung des Redaktionsgeheimnisses komme, könnten damit auch Einschränkungen verbunden sein. Besser wäre es daher, „die Selbstverpflichtung zu perfektionieren“. Das geschehe etwa durch die Wiedereinrichtung des Presserates. Überdies wünscht sich Fleischhacker, dass es bei Streit um das Redaktionsgeheimnis zu einer schnellen Klärung der Rechtslage kommt. Am besten, indem sofort ein Höchstgericht (Verfassungsgerichtshof oder Oberster Gerichtshof) entscheide.

Korn glaubte nicht an die Selbstheilung: „Wir haben einen Unqualitätsjournalismus in Österreich, der zum Himmel schreit. Ob wir den mit dem Presserat in den Griff bekommen, wage ich zu bezweifeln.“ Ähnlich fiel die Diagnose Jaroschs aus. Fleischhacker verwies darauf, dass dieses Problem Boulevardzeitungen betreffe, die beim Presserat kaum präsent sind. Und durch Inserate der öffentlichen Hand würden unseriöse Boulevardzeitungen künstlich am Leben erhalten. Die Politik solle das Füttern dieser „Medien-Zombies“ abstellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2010)

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