Heribert Prantl: Traum vom Sonntag auf Papier

Traum Sonntag Papier
Traum Sonntag Papier(c) Die Presse
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Heribert Prantl ist Chefredakteur der "Süddeutschen Zeitung" und hält eine Gastvorlesung am Wiener Publizistik-Institut. Mit der "Presse" sprach er über das Schöne am Journalismus und österreichische Printmedien.

Herr Prantl, Sie sind seit 2011 Mitglied der Chefredaktion in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ). Haben Sie überhaupt Zeit für eine Gastvorlesung an der Wiener Uni?

Heribert Prantl: Erstens ist es ehrenvoll. Zweitens bin ich gern in Wien, weil ich unter anderem das Burgtheater liebe. Drittens halte ich es für wichtig, mit jungen Fachleuten über Journalismus, das Mediengeschäft und die Pressefreiheit nachzudenken und zu reden. Was die Chefredaktion in München betrifft: Wir sind dort zu dritt und haben es so aufgeteilt, dass alle zwei Wochen ein anderer die Geschäfte führt und die Konferenzen leitet.


Das erklärt, warum Sie noch Zeit haben für große Texte auf der Themenseite Drei.

Für große Sachen hat man ohnehin keine Zeit unterm Tag. Ich bin Frühaufsteher, setze mich, wenn nötig, um halb fünf an den Schreibtisch. Da hat man Ruhe, Zeit, in den Unterlagen zu kramen, sich über etwas klar zu werden. Man kann ja Schreiben auch genießen, manchmal.

Was wollen Sie den Studenten vermitteln?

Dass Journalismus ein Beruf ist, für den es Leidenschaft braucht, und keiner, bei dem man Stunden zählen darf. Journalist ist man eigentlich immer. Der Journalist hat eine demokratische Aufgabe, Pressefreiheit ist das tägliche Brot der Demokratie. Die Journalisten sind die Leute, die dieses Brot backen – das können große Laibe sein in den großen Zeitungen und den großen Sendern, oder kleine Weckerln in Lokalzeitungen und Lokalradios. Ich will die Studenten davor warnen, Journalismus zu studieren, weil es Mode ist. Man wird nicht reich damit, man hat keine Macht – aber Einfluss.


Sie haben „Journalismus“ nie klassisch studiert, nun tragen Sie am Publizistik-Institut vor: Wie wird man Journalist?


Den idealen Weg gibt es nicht. Wenn mich ein Maturant fragt, ob er Publizistik studieren soll, würde ich nicht unbedingt „Ja“ schreien. Wenn er Lust an der Theorie hat, soll er auch Publizistik machen, aber nebenbei soll er Sinologie, Medizin, Jus, Wirtschaft, Anglistik – irgendwas dazustudieren.


Sie waren vor Ihrer Zeit als Journalist aktiver Richter. Wie war der Umstieg?

Es gibt Berührungspunkte. Weniger beim Richter, eher beim Staatsanwalt, der ich auch war: Man recherchiert, deckt auf, bewertet, klagt an – das macht man manchmal auch als Leitartikler. Ich fühle mich jetzt mindestens so unabhängig wie damals als Richter. Bei meiner Zeitung hat mir nie jemand journalistische Vorschriften gemacht, mich zu beeinflussen oder zu dirigieren versucht.


Sie haben in Ihrer ersten Vorlesung positiv auf die Zukunft der Printmedien geblickt.

Ich bin nicht uneingeschränkt optimistisch. Eine goldene Zukunft haben wir dann, wenn sich die Einsicht in der Branche durchsetzt: Es darf keinen Billigjournalismus geben. Noch nie war das Bedürfnis nach einem orientierenden, aufklärenden Journalismus so groß wie heute, nach der Internet-Revolution. Das Internet ersetzt keine guten Redakteure, es braucht sie.


Wie sieht es mit den Plänen für eine Sonntagszeitung der „Süddeutschen“ aus?


Eine „Süddeutsche Sonntagszeitung“ ist mein Traum. Wahrscheinlich wird es aber keine eigene Sonntagszeitung geben, weil es sehr teuer ist, einen Vertrieb aufzubauen. Die neuen Verleger, die vor ein paar Jahren sehr viel Geld für das Blatt ausgegeben haben, werden nicht schon wieder eine Großinvestition machen wollen. Aber man wird überlegen, in welcher Weise man die sechste Ausgabe, die Samstagsausgabe, zu einer ganz neuen Wochenendausgabe macht. Das Spezialabo für Samstag läuft ziemlich gut, und darauf kann man aufbauen.

Wird das noch 2011 passieren?

Vielleicht wird man es peu à peu machen. Den „Wochenendteil“ ausbauen, die Analyse und den Hintergrund verstärken – die Stärken der „SZ“ ausbauen. Die „SZ“ ist eine Autorenzeitung. Autorität kommt von Autor. Diese Autorität hebt uns heraus, das sollten wir in der Wochenendausgabe noch mehr nutzen und die blanke Tagesaktualität zurückdrängen, sodass die Samstagszeitung eine Lesezeitung wird.


Wie beurteilen Sie das Bezahlsystem der „New York Times“?

Ich weiß nicht, wie es sich entwickeln wird, aber das Grundprinzip der „NYT“ ist richtig. Erste Ansätze gibt es auch bei uns: Die Seite Drei stellen wir nicht online, oder nur die ersten Absätze als „Appetizer“, das „Streiflicht“ ist nicht online.


Sind Sie ein Freund von Blogs?

Ich selber muss und will nicht bloggen. Der Blog des Redakteurs ist seine Zitung. Die Bloggerei lässt sich mit dem großen Demokratisierungsschub von 1848 vergleichen: Damals ist das Zeitungswesen explodiert, jetzt passiert Ähnliches. Es gibt eine produktive Unruhe, die befruchtet auch die neuen Bürgerbewegungen.


Kennen Sie den Südwatch-Blog? Da werden in der Rubrik „Prantl-ismus“ Ihre Texte zerpflückt.

Sollen sie machen. Die Rubrik kenne ich nicht. Es macht keinen Unterschied, ob die Menschen in der Kneipe sitzen und sagen: „Der Prantl hat wieder einen totalen Dreck geschrieben“, oder ob das im Internet geschieht. Was mir nicht gefällt, ist, dass das überwiegend anonym passiert.


Sie haben erzählt, dass Sie auf der Zugfahrt nach Wien auch Zeit für österreichische Zeitungen hatten. Wie ist der Eindruck?

Sehr disparat. Es gibt Lichtjahre zwischen Magazinen wie „Falter“ und „News“. Ansonsten gibt es einen ordentlichen qualitätsvollen Journalismus. Es gibt hier offenbar noch mehr Lust am Kommentieren als in Deutschland. Auch die Freude am kleinen Kommentar und kurzen Kolumnen ist viel größer als bei uns. Ich bin mir nicht sicher, wie gut das ist. Kommentar und Glosse müssen Substanz haben, dürfen nicht Genörgel sein. Es gibt eine gewisse Mindestlänge, um die Dinge einigermaßen darzustellen und auf den Punkt zu bringen. Eine Kolumne unter 30 Zeilen würde ich gar nicht schreiben.


Was macht einen guten Leitartikel aus?

Erstens muss ich ihn auch nach dem ersten Absatz weiterlesen wollen. Zweitens muss er so geschrieben sein, dass er mir auch Lust zu lesen macht, wenn ich anderer Ansicht bin. Wenn er dann auch noch von einem Thema handelt, das nicht ohnehin gerade in aller Munde ist – dann ist es perfekt. Die Leute dazu zu bringen, sich über ein Thema zu unterhalten, das wichtig, aber unbeachtet ist – das ist gut.

FAKTEN

Heribert Prantl, geb. 1953, war Anwalt, Richter und Staatsanwalt, bevor er 1988 als Journalist bei der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) begann. Seit 1995 Innenpolitikchef, seit 2011 auch Mitglied der Chefredaktion. Er ist derzeit Vortragender der Theodor-Herzl-Dozentur für Poetik des Journalismus am Wiener Institut für Publizistik. Weitere Vorträge: 11. und 18. Mai, 10 Uhr, Uni Wien, Hörsaal 33. Die „SZ“, gegründet 1945, steht im Eigentum der Südwestdeutsche Medien Holding (81,25 %) und der Verlegerfamilie um Johannes Friedmann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2011)

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