Ein "Muslim-Girl" bekämpft Klischees

(c) Michaela Bruckberger
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Muslimische Frauen sind selbstständig und gebildet - mit diesem Credo will die junge Autorin Sineb El Masrar das Bild der Muslimas in der Öffentlichkeit ändern. Seit 2006 gibt sie ihr eigenes Magazin heraus.

Sie sind beide Feministinnen. Sie geben beide Magazine für emanzipierte Frauen heraus. Und doch trennen Sineb El Masrar und Alice Schwarzer Welten. Denn während Feminismus-Ikone Schwarzer in ihrem Buch „Die große Verschleierung“ mit der Verhüllung muslimischer Frauen hart ins Gericht geht, sieht die gläubige Muslima Sineb El Masrar Kopftuch, Niqab & Co. keinesfalls als Integrationsmaßstab. Zugegeben, die knapp 30-Jährige ist noch weit vom Bekanntheitsgrad Schwarzers entfernt. Doch in ihrem Auftreten ist sie bereits ähnlich selbstbewusst.

„Man kann Schwarzer das lange erklären, auch Studien heranziehen“, meint El Masrar. „Aber ich glaube, sie hat sich da in ihr Welt- und Frauenbild eingebettet.“ Schwarzer würde sich in der Diskussion um die Frauen im Islam stets für Gerechtigkeit einsetzen. „Aber man muss sich schon fragen, ob sich die betroffenen Frauen mit Schwarzers Gerechtigkeit auch wohlfühlen.“ Denn junge Muslimas seien bei Weitem nicht so arme und geknechtete Wesen, wie die Argumentation der Feminismus-Ikone das nahelege. „Muslima 2.0“, diesen Begriff verwendet El Masrar in diesem Zusammenhang gern. Und meint damit selbstständige und gebildete junge Frauen, die eben auch an Allah glauben. Nur würden das die Medien und deshalb auch die Gesellschaft einfach nicht wahrnehmen.


Kritisches Role Model.Sineb El Masrar ist die perfekte deutsche Einwanderertochter: Sie spricht akzentfreies Deutsch, ist erfolgreich und obendrein gut aussehend. Die deutschen Medien haben der gebürtigen Hannoveranerin viel Aufmerksamkeit geschenkt. Selbst die „Bild-Zeitung“ hat sie vor Kurzem zu den „100 Frauen, an die wir glauben“ gezählt. El Masrars Kritik richtet sich trotzdem an all die Medienvertreter, die Migranten nach wie vor nicht zu ihrer Leserschaft zählen. Schon mit 23 Jahren hat sie deshalb 2006 „Gazelle“ gegründet, das bislang einzige multikulturelle Frauenmagazin in Deutschland. Im gleichen Jahr wird sie von der deutschen Integrationsstaatssekretärin Maria Böhmer in die Arbeitsgruppe „Medien und Integration“ der Integrationskonferenz geholt. Nach wie vor ist sie Teilnehmerin der Deutschen Islam-Konferenz. Außerdem hat sie eine kleine PR-Agentur in Berlin.

El Masrars marokkanischer Vater kam in den 1970er-Jahren mit einem Wanderzirkus nach Deutschland. Dass die Tochter eines Kfz-Schlossers und einer Analphabetin so jung Verlegerin und Autorin wird, ist für sie selbst nichts Besonderes. El Masrar, die schnell denkt und spricht, weiß aber, dass sie in der Öffentlichkeit immer noch eine Sonderstellung hat. „Ich werde natürlich in diese muslimische Rolle gezwängt. Wenn ich in der ,Bild‘ über mich lese, ,Sie versteht den Propheten und die Frauen‘ nehme ich das nur zur Kenntnis. Und widme mich weiter meinen Aufgaben.“

Und deren gibt es genügend. Da wäre etwa die finanzielle Absicherung von „Gazelle“ für das Jahr 2012. Denn das Magazin kann derzeit nur online erscheinen. Trotzdem, für El Masrar ist „Gazelle“ das Magazin von morgen. „Was wir machen, müssen andere Medien spätestens in zehn Jahren umsetzen.“ Allein aus demografischen Gründen könnten sie nicht mehr auf Migranten als Rezipienten verzichten.


Neue Bilder schaffen. Inhaltlich gehe es um alle möglichen Themen, vom Leben in Deutschland über Familie und Partnerschaft bis zu Kultur und dem Themenbereich Mode und Schönheit – letzterer gehöre zu einem Magazin für Frauen einfach dazu. Eine Sache möchte sie jedoch klarstellen: „Wir sind nicht die türkische ,Emma‘ oder die muslimische ,Bunte‘.“ „Gazelle“ sei ein Magazin für alle deutschen Frauen, die eben zum Teil einen Migrationshintergrund haben oder sich für Migration interessieren. Und so könne „Gazelle“ neue Bilder in den Köpfen schaffen.

Neue Bilder schaffen, das soll auch ihr Buch „Muslim Girls“, das sie 2010 herausgegeben hat und in dem sie ihr Bild der modernen muslimischen Frauen skizziert. Denn was Frauen mit Migrationshintergrund und besonders verschleierte Frauen einerseits im Alltag erleben und Medien andererseits abbilden, klaffe oft weit auseinander. Auch die zahlreichen Bücher, die zum Thema Frauen im Islam erscheinen, seien immer dieselben: sehr dramatische und tragische Geschichten, die in der Öffentlichkeit ein einseitiges Bild erzeugten von fremdbestimmten und unterwürfigen Frauen. El Masrar muss sich selbst noch mit dem Bild herumschlagen, das die Medien von ihr erzeugen. „Ob ich jetzt geschieden bin oder nicht, das ist kein Maßstab für meine Emanzipation.“

Das Wandeln zwischen Identitäten gehört für Sineb El Masrar zum Alltag. Sie selbst bezeichnet sich als Deutsche, – an manchen Tagen aber auch als Marokkanerin. „Wir switchen in unseren Identitäten“, meint sie. Das mache Menschen natürlich um einiges schwerer greifbar. Und vor allem jene, die nach einfachen Antworten suchen, hätten damit ein großes Problem. „Aber“, meint die junge Muslima, „es gibt eben nicht nur die eine Antwort.“ Und es gibt eben nicht nur das eine Bild der muslimischen Frau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.01.2012)

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