Wrabetz-Brief an die ORF-Mitarbeiter im Wortlaut

In einem Brief verteidigt ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz die geplante Bestellung von SPÖ-Stiftungsrat Niko Pelinka zum Büroleiter.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

2011 war ein erfolgreiches und ein wichtiges Jahr für den ORF.

Wir haben die Marktführerschaft im Fernsehen, im Radio, im Onlinebereich und in allen Bundesländern klar behauptet. Wir waren programmlich erfolgreich: Wir haben die Österreicherinnen und Österreicher informiert, unterhalten und deren Leben in vielfältiger Form bereichert. Wir haben unsere Senderfamilie mit ORF III und SPORT + erweitert. Wir sind damit auf die Herausforderungen 2012 und der kommenden Jahre sehr gut vorbereitet.

Wir gehen mit einer neuen Struktur und einem motivierten Geschäftsführungsteam in dieses neue Jahr und die neue Geschäftsführungsperiode. Durch die gemeinsam unter großen Anstrengungen umgesetzten Einsparungen sind wir gerüstet für eine programmliche Offensive mit Rahmenbedingungen, die es uns ermöglichen, so viel Geld wie noch nie ins Programm zu investieren. Eine maßvolle Gebührenvalorisierung und die Refundierung der Gebühren-Befreiungen tragen ebenfalls dazu bei.

Wir werden in diesem Jahr 100.000 Stunden Radio produzieren und 40.000 Stunden Fernsehprogramm. Von den 40.000 Stunden Fernsehprogramm sind 10.000 Stunden eigenproduzierte, neue Sendungen.

Wir präsentieren 2012 die großen Sportschwerpunkte „Olympische Sommerspiele in London" und die „Fußballeuropameisterschaft aus Polen und der Ukraine". Mit „Dancing Stars" und „Die große Chance" haben wir wieder zwei große Eventshows. Wir bieten auch 2012 umfassende Information in allen Medien. Wir zeigen große, neue Dokumentationen und alle wichtigen Kulturereignisse - viele davon live. Das gestrige Neujahrskonzert war ein herausragendes Beispiel. Das einzigartige Zusammenwirken von Redaktion, Regie und Technik hat mehr als 1,2 Millionen Österreicher und 50 Millionen Menschen in 73 Ländern weltweit erfreut. Wir senden zahlreiche, neue Filme und Serien aus Österreich, die erfolgreichen Programme unserer Landesstudios und vieles mehr, um nur einige Beispiele herauszugreifen.

In all unseren Programmen stecken die hervorragende Arbeit und Leistung aller Abteilungen und Direktionen - von den programm- und content-produzierenden Abteilungen in Radio, Fernsehen und Online über die Technik und die Landesstudios bis zu den administrativen, kaufmännischen und programmunterstützenden Abteilungen und den Tochterfirmen.

Für diese, Ihre Arbeit, Ihre hohe Kompetenz und Ihr Engagement für den ORF unter schwieriger gewordenen Rahmenbedingungen möchte ich mich bei Ihnen zu Beginn des neuen Jahres sehr herzlich bedanken. Gemeinsam haben wir unseren ORF fit gemacht für die anstehenden Herausforderungen.

Auf ein Thema, das die hausinterne und auch öffentliche Diskussion während der vergangenen Tage bestimmt hat, möchte ich an dieser Stelle eingehen:
Es wird zu einem personellen Wechsel in meinem Büro kommen. Diesen Wechsel haben wir kurz vor Weihnachten gemeinsam mit ebenso stattfindenden personellen Änderungen in den Stäben einiger meiner Direktoren-Kolleginnen und -Kollegen bekanntgegeben und ich hielt es für richtig, Sie über meine Pläne offen und transparent zu informieren.

Selbstverständlich werden alle Positionen, die per ORF-Gesetz auszuschreiben sind, ausgeschrieben. Ich ersuche aber auch um Verständnis dafür, dass sich sowohl ich persönlich als auch meine Kolleginnen und Kollegen in der Geschäftsführung vorbehalten, sich ihre engsten Mitarbeiter und Referenten selbst auszuwählen. Gerade in Stabsfunktionen geht es nicht nur um Qualifikationen, um die selbstverständlich auch, sondern auch um ein persönliches Vertrauensverhältnis, das sich meist über einen längeren Zeitraum entwickelt. Das war übrigens auch bei meinen bisherigen Büroleitern so, die haben sich nicht nur auf Basis einer Ausschreibung beworben, sondern weil ich sie gefragt habe, ob sie mit mir zusammenarbeiten wollen.

Dessen ungeachtet wurden und werden selbstverständlich alle formal nötigen Schritte und Prozesse eingehalten. Ich habe daher selbstverständlich vor Weihnachten die Ausschreibung der entsprechenden Position veranlasst, bedingt durch die Feiertage wurde diese erst einige Tage später in der "Wiener Zeitung" veröffentlicht. Die Stelle wird natürlich nach Ende der Ausschreibungsfrist besetzt. Die Bürofunktion ist aus historischen Gründen formal als journalistisches Arbeitsbild ausgeschrieben. Selbstverständlich ist Büroleitung in der Generaldirektion keine journalistische Tätigkeit und hat weder direkte noch indirekte Möglichkeit zur Einflussnahme auf die journalistische Tätigkeit im Hause.

Den zweiten Aspekt der Debatte möchte ich auch ansprechen:
Ich denke - und das wurde dem ORF und mir in den vergangenen 5 Jahren von KollegInnen, der Presse und unserem Publikum immer wieder bestätigt und darauf bin ich von allen Dingen, die wir seit 2007 erreicht haben, am meisten stolz - dass wir heute ein Maß an Unabhängigkeit, Objektivität, Offenheit, Selbst-Ironie und auch interner Streit- und Diskussionskultur haben, das im ORF früher undenkbar war und das auch in allen anderen mir bekannten Medien-Unternehmen im In- und Ausland nach wie vor undenkbar ist. Ich garantiere Ihnen, dass dies auch in den kommenden Jahren so bleiben wird.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht in ganz Europa vor großen Herausforderungen. Auch in Österreich hat sich in den vergangenen Monaten die medienpolitische Auseinandersetzung verschärft. Kommerzielle Medienkonzerne und ihre Vertreter versuchen, unser Leistungsspektrum einzuschränken, uns von Zukunftsentwicklungen auszuschließen und uns unsere materiellen Grundlagen zu entziehen.

Diesen Angriffen haben wir schon in den vergangenen Jahren erfolgreich Widerstand geleistet und können so unserem Publikum ein erfolgreiches umfassendes Programmangebot bieten. Diesen Weg eines modernen öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden wir auch in den kommenden Jahren unbeirrt und konsequent fortsetzen.

Ich wünsche Ihnen und uns allen gemeinsam im Sinne unseres Publikums ein erfolgreiches Jahr 2012.

Ihr

Dr. Alexander Wrabetz

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